KONSTRUIERTE RENAISSANCE-MAJUSKEL
Muster der Renaissance-Inschriftenmajuskel vorhanden, es scheint aber, daß die
Schriftkünstler der spanischen Renaissance der geometrischen Konstruktion dieser
Schrift keine besondere Bedeutung beimaßen. Soweit mir bekannt, führte nur Juan
de Vingles, Yciars Mitarbeiter, der im Holzschnitt die herrlichen Vorlagen seiner
Buchstaben schuf, in der gleichen Technik auch eine Serie von Konstruktionen der
Renaissance-Majuskel aus, deren zeichnerische Qualität aber keineswegs hervorragt.
Yciars letra latina, wie der Kalligraph das Alphabet seiner Renaissance-Majuskel (Taf.
XIV, XV) überschreibt, hat im ganzen das Aussehen der italienischen Vorlagen, in
den Einzelheiten zeigt es jedoch einige Abweichungen. Vor allem ist hier der Kontrast
zwischen den starken und schwachen Zügen größer, was sich besonders ungünstig z. B.
beim Querbalken des T auswirkt. Ungewohnt ist hier auch die Abtrennung des vom
oberen und unteren Schenkel eingeschlossenen Winkels vom Stamm des K, ebenso
wie der Ansatz des Schrägfußes beim R. Andererseits kehrt Yciar zur klassischen Form
des A mit dem scharfen Scheitel und dem Y mit gebogenen Schenkeln zurück.
Obwohl das konstruktivistische Fieber die Schriftkunst vor allem in der ersten Hälfte
des 16. Jahrhunderts befiel und in der zweiten offensichtlich nachließ, finden wir auch
später, im Barock, wiederholte Versuche von Konstruktionen der Renaissance-Ma¬
juskel, die auch zu dieser fortgeschrittenen Zeit als Hauptform der Inschriftenschrift
diente. Daraus ist ersichtlich, daß das Konstruieren der Schrift mit Zirkel und Lineal
nicht ganz ohne Nutzen blieb, wenn man nach so langer Zeit mit dieser Methode so
gute Ergebnisse erzielte, wie sie die Inschriftenkunst der Renaissance und der Spät¬
renaissance aufzuweisen haben.
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