DIE LATEINSCHRIFT DER GEGENWART
der Staatsdruckerei in Prag herausgegeben (Abb. 346, 347). Seinen eigenen Äuße¬
rungen zufolge bemühte sich Dyrynk mit dieser Antiqua, die er im Jahre 1928 noch
durch eine Italika ergänzte, um eine strenge und absichtlich etwas archaisierende
Schrift. Es ist also natürhch, daß ihre Zeichnung deuthch die Dyrynksche Zugehörig¬
keit zum Morris-Lager verrät und die Tendenz einer Anlehnung an historische Vor¬
bilder, in diesem Falle die klassische Antiqua des aldinschen Typus. Den Druckschrift¬
charakter der Vorlage schwächte Dyrynk in seiner Schrift jedoch mit einigen
Schreibduktuselementen ab, nämhch mit der Verstärkung der schwachen Züge der
Versalien nach den Serifen zu, mit den offenen Bäuchen der Buchstaben P, R, b, d, p,
q, vor allem aber mit den schreibgerecht konzipierten tschechischen Akzenten, denen
er nach dem Beispiel Vojtech Preissigs stets seine erhöhte Aufmerksamkeit widmete.
Im Satzspiegel wirkt die Kleinseitner Antiqua jedoch wegen ihrer engen und lichten
Zeichnung besonders in den größeren Schriftgraden angenehm. Im wesentlichen dem
gleichen Typus gehört auch die nächste Schrift Dyrynks an, die von der Grégrschen
Schriftgießerei in Prag 1928 unter der Bezeichnung Dyrynk-Lateinschrift herausgegeben
und im Jahre 1930 durch eine Italika ergänzt wurde (Abb. 348). Dyrynk selbst cha¬
rakterisiert seine Schrift als praktisch, sparsam und mager, ängsthch auf Vermeidung
von Exzentrizität bedacht. Obwohl sie im Satz tatsächhch so erscheint, wäre an der
Zeichnung der einzelnen Lettern eine Reihe ungewohnter Abweichungen vom Gara-
mondschen Schnitt auszusetzen, den Dyrynk bei seiner Arbeit offenbar vorwiegend
im Sinn hatte. Bei den Versahen fesseln am stärksten der große Kontrast zwischen den
starken und dünnen Strichen und die hinzugefügten haardünnen klassizistischen un-
gekehlten Serifen, die stillos der Schriftzeichnung von Renaissancetypus angegliedert
sind. Das Alphabet der kleinen Lettern weicht weniger von der aldinschen Tradition
ab, obwohl die unteren Serifen ebenfalls klassizistisch und die oberen zu scharfen
Spitzen verengt sind. Aber auch so ist im Satz diese Kompilation von Schriften im
alten Stil nicht ohne eigenartigen Reiz, der sich durch eine nicht unbeträchthche
Lebhaftigkeit des Duktus auszeichnet, was insbesondere mit der Neigung der Achse
des Buchstabens e zusammenhängt. 'Nach diesen Schriften mit den zugehörigen Kur¬
siven', sagt Dyrynk in seiner Schrift Typografické písmaíství (Typographische Schrift¬
kunst), 'stellte ich mir eine schwierigere Aufgabe: eine reichere Schrift mit einem
schrofferen Wechsel der Haar- und Schattenstriche hervorzubringen, einen rythmi-
schen und dekorativen Typus, aber mit guten gegenseitigen Proportionen, lesbar und
unauffällig.' Also wirklich eine außergewöhnhch schwierige Aufgabe, und Dyrynk
selbst war sich nicht ganz sicher, ob es ihm gehngen würde, diese so verschieden¬
artigen Anforderungen in seiner nächsten Schrift zu erfüllen, die unter der Bezeich¬
nung Grégrova Romana (Grégr-Romana) 1930 von der Prager Gießerei Arnost Grégr
herausgegeben wurde (Abb. 349). Sie ist ebenso wie die begleitende Itahka aus dem
Jahre 1931 eine Kompilation verschiedener dem Stil nach recht entfernter schrift¬
künstlerischer Elemente. An den Schnitt der venezianischen Antiqua zum Beispiel
erinnert der Buchstabe e, an den späten niederländisch-enghschen Renaissancetypus
gemahnt die große mittlere Schrifthöhe und das breite Schriftbild beider Alphabete,
und mit der klassizistischen Schriftkunst hat sie die kontrastreiche Zeichnung und die
haardünnen Serifen gemeinsam, die allerdings manchmal renaissancehaft gebogen
und seicht eingekehlt sind. In einigen Fällen sticht auch das Kalligraphische hervor,
so etwa m der Zeichnung der Buchstaben K, Q,, R, Z, a, g, k, z. Wenn die Grégrsche
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AÄBCCDDEEE
FGHIÍJKLMNÑ
OÖPQRRSSTT
UÜVWXYYZZ
aaäbccddeeefgh
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1234567890
346. Malostranská antikva. К. Dyrynk; Gießerei der Staatsdruckerei
in Prag, ig27.
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