DIE LATEINSCHRIFT DER GEGENWART
moderner Schriftgußtechnik ausgeführt, ist also eine Schrift, die ähnhch, aber um
vieles gründhcher geschnitten ist als die vorausgegangene, in Amerika in Linol aus¬
geführte Akzidenzschrift. Der 'Schnitt' des Schriftbildes der Preissigschen Antiqua,
die 1928 durch eine Itahka ergänzt wurde, reicht bis zu solchen Extremen, daß er
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ABCDEFGHIJKLMNOPQRF
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341. V. Preissig: Plakatschrift für Linolschnitt, ідіг.
allen runden Zügen ausweicht und sie dagegen aus gerade abgeschnittenen Keilen
zusammensetzt, so daß das Ganze ein sehr kurioses Aussehen erhält, das mehr an
Holzschnitt als an Typographie gemahnt. Als inkonsequent muß man die Tatsache
ansehen, daß Preissig dem Archaismus des holzgeschnittenen Schriftbildes flache haar¬
dünne klassizistische Serifen beifügt. Das Ergebnis dieses in vieler Beziehung sicher
interessanten Preissigschen Versuches war schließlich eine Schrift, deren Verwendungs¬
möglichkeiten sehr beschränkt sind, und an deren tschechischem Charakter und Mo¬
dernität man ebenfalls zweifeln darf.
Inzwischen arbeitete man in einem weiteren Prager Betrieb, der Industriedruckerei
(Prümyslová tiskárna) unter dem Patronat ihres Direktors Method Kaláb an der tech¬
nischen Ausführung einer Schrift, deren Entwürfe Slavoboj Tusar (1883-1950) vor¬
bereitet hatte. Für diesen Schriftkünstler und Typographen war dies aber nur der
Anfang der Arbeit, denn er begnügte sich nicht mit der ersten Form seiner Schrift, mit
der im Jahre 1925 der Druck für die Pariser Ausstellung gesetzt wurde, sondern er
überarbeitete die Schriftzeichnung 1926 erneut. Die Tusar-Antiqua ist im Vergleich zur
Antiqua Preissigs unverhältnismäßig ruhiger und deshalb eine im Satz brauchbare
Schrift, obwohl sie sich auch durch viele und stark persönhch geprägte Abweichungen
des Schriftbildes auszeichnet (Abb. 343). Tusar verkürzte vor allem die Ober- und
Unterlängen auf ein Minimum und vergrößerte so die mittlere Höhe der recht breiten
Lettern des kleinen Alphabets in ungünstiger Weise. In diesem Alphabet erregt sodann
die kursive embauchage Form des Buchstabens a, aber auch die kursive Form des g
unerwünschte Aufmerksamkeit und am meisten drängt sich die runde kursive Form
des v auf. Für das kleine und große Alphabet sind dann die runden Arme des К cha¬
rakteristisch, während die Versahen als Ganzes von der traditionellen Schriftzeichnung
nicht abweichen. Für die Stilorientierung Tusars legt der Buchstabe M mit den nach
innen gezogenen oberen Serifen Zeugnis ab, aber dieses Merkmal der Antiqua des
venezianischen Typus steht hier ganz allein, ohne daß es mit dem schrägen Querstrich
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AABCDEFGHIJ
• •
KLMNOOPQRST
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342. Preissig-Antiqua. V. Preissig; Gießerei der Staatsdruckerei,
Prag, ідгз.
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