DIE LATEINSCHRIFT DER RENAISSANCE-INSCHRIFTEN
letzte kalligraphische Handbuch der italienischen Renaissance des 16. Jahrhunderts,
das noch eine Anleitung zur geometrischen Konstruktion der Renaissance-Inschriften-
majuskel enthält, ist zweifellos die Sammlung Giardino de Scrittori, die erst 1598 in
Rom von Marco Antonio de Rossi herausgegeben wurde, der auch unter dem Namen
Rubeis bekannt ist. In ihrem Titel wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sie 'il
vero modo di scriuere facilissimamente per ragione di Geometria le Maiuscole Antiche
Romane' bringt, und es scheint, daß gerade dieser Teil von Rossis Handbuch großen
Erfolg hatte, denn noch im selben Jahre wurde er erneut als besonderer Separatdruck
herausgegeben.
Vorlagen der Muster-Majuskeln und ihrer Konstruktion enthalten auch zahlreiche
schriftkünstlerische Sammelwerke, die im Laufe des 16. Jahrhunderts außerhalb Ita¬
liens erschienen. Zu den zeitlich den ersten italienischen Arbeiten dieser Art am
nächsten stehenden gehört das gut bekannte und hier ebenfalls schon häufig zitierte
Buch des großen deutschen Renaissancemalers Albrecht Dürer, das im Jahre 1525
in Nürnberg unter dem Titel Underweyssung der Messung, mit dem Zirckel und richt-
scheyt, in Linien etc. erschien. Zweifellos unter italienischem Einfluß, vor allem wohl
der Musterbücher Damianos da Moile und L. Paciolis, konstruiert Dürer die Renais¬
sance-Majuskel einerseits in einer Form ins Quadrat, die er für die Grundform hält
(Abb. 18, 19), andererseits begleitet er diese Konstruktionen mit weiteren Varianten
einzelner Buchstaben und erläutert gleichzeitig das Konstruktionsverfahren und die
formalen Abweichungen in dem ausführlichen Begleittext (Taf. X). Schließlich ver¬
bindet er die so ausführlich behandelten Einzelbuchstaben mit einigen Varianten, ein¬
schließlich der Konstruktion der Grundformen, zu einem übersichtlichen Alphabet
auf fünf Seiten Großformat. Die schönen Ergebnisse, zu denen Dürer größtenteils
gelangt, sind besonders überraschend, wenn wir die unbestrittene Vorherrschaft der
gotischen Kalligraphie in seinem Lande bedenken. Der Großteil der Buchstaben ist
wirklich vollendet, und nur an wenigen Stellen ließen sich kleine zeichnerische Mängel
beanstanden, wie es zum Beispiel die scharfe Verbindung der Bäuche der zweiten
Variante des Buchstabens В ist, der zu lange Fußbalken des E, der dagegen kurze
Schaft der zweiten Variante des G, das gedrängte Bild der zweiten Variante des M
mit den senkrechten Schäften und der zu weit vom Schaft angesetzte Schrägfuß des
Buchstabens R.
Ein weiteres im Druck erschienenes deutsches Handbuch der Schriftkunst, das eine
Anleitung und Musterbeispiele zur Konstruktion von Renaissance-Majuskeln ent¬
hält, stammt erst aus dem Jahre 1553. Unter der Bezeichnung Ein nutzlich vnd wolge-
grundt Formular Manncherley schöner schriefften gab es in Nürnberg der hier schon
mehrfach erwähnte Wolfgang Fugger heraus, ein Schüler des berühmten Nürnberger
Kalligraphen Johann Neudörffer. Fugger war aber nicht Berufskalligraph, was er wohl
als Abkömmling der berühmten Augsburger Bankierfamilie nicht nötig hatte. Er wid¬
mete sich publizistischer Tätigkeit, offensichtlich ohne Erfolg, denn er geriet dadurch
sehr in Schulden, und gab 1537 und danach mehrere Bücher heraus, von denen kein
einziges erhalten blieb; sicher ist jedoch, daß er sich in keinem davon mit Fragen der
Schrift beschäftigte. Das tat er erst mit seinem 'Formular' vom Jahre 1553, einem sehr
anmutigen und vielseitig nützlichen Büchlein, dem er als besonderen Teil Eine gute
Aussthaylung der Römischen oder Lateinischen Buchstaben etc. hinzufügte, eine An¬
leitung und Muster der geometrischen Konstruktion von Renaissance-Majuskeln. In-
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