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332. Peignot. A. M. Cassandre; Deberny & Peignot, ідзу.
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MODERNE AKZIDENZSCHRIFTEN
Wirkung des Satzes ist sie offenbar noch nicht völhg ausgereift und würde viele Korrek¬
turen und eine sorgfältige Feinziselierung erfordern, um mehr als eine Gelegenheitsschrift
zu sein. Das gilt in noch weit größerem Maße von der erwähnten französischen Grotesk-
Antiqua, die besonders deutlich den Mut illustriert, mit dem die modernen französi¬
schen Schriftkünstler an das Problem einer modernen Schriftzeichnung herangehen.
Es handelt sich um die Grotesk-Antiqua Peignot, die im Jahre 1937 von der Schrift¬
gießerei Deberny & Peignot in Paris herausgegeben wurde und auch von der ameri¬
kanischen Firma Continental Typefounders Association produziert wird (Abb. 332).
Diese Schrift ähnelt auf den ersten Blick stark der Grotesk-Antiqua Middletons, aber
diese Ähnhchkeit ist eine scheinbare und betrifft nur die ebenso kontrastreiche und
ebenso modellierte Schriftzeichnung. Der Autor dieser Schrift, der bekannte fran¬
zösische Plakatzeichner A. M. Cassandre, gestaltete mit beachtlichem Erfolg die Ver¬
sahen mit differenzierter Strichstärke der Schriftzeichnung ohne Serifen, im kleinen
Alphabet wandte er sich dagegen von der Tradition ab, ohne daß sein Beitrag als
positiv bezeichnet werden könnte. Der Umstand, daß er anstehe der Minuskelformen
der Buchstaben a, e, m, n, q, r, t und и in das kleine Alphabet seiner Grotesk-Antiqua
die Majuskelformen dieser Buchstaben aufnahm, kann nicht als glückliche Lösung
bezeichnet werden. Noch weniger gilt das für die Unzialform des g oder eine Neu¬
bildung, nämhch die zwar originelle, aber doch zu kuriose Kreuzung der Majuskel
und Minuskel des Buchstabens h.
Die Entwicklungsmöghchkeiten dieses Typus der Grotesk-Antiqua, einer Antiqua
ohne Serifen, entdeckten auch andere Schriftkünstler in der Welt; sie versuchten, in
dieser Richtung zu einer neuen Form der Buchschrift zu gelangen. Größtenteils nahmen
sie hierbei nicht mehr von der klassizistischen Antiqua mit dem starken Kontrast des
Strichstärkewechsels Ausgang, sondern von der Konstruktion und Ordnung der Re¬
naissance-Vorlagen. Eine solche Neorenaissance-Grotesk-Antiqua ist zum Beispiel die
Schrift Colonia der Firma Ludwig & Mayer aus dem Jahre 1938, deren Autor W. F.
Kemper im kleinen Alphabet sogar von der Konstruktion der Renaissance-Antiqua
venezianischen Schnittes ausging. Und wenn sie auch insgesamt eine sehr formale und
ruhige Zeichnung aufweist, ist sie in den kleinen Schriftgraden von der Lesbarkeit der
traditionellen Buchschriften doch weit entfernt. Dasselbe gilt von der zeichnerisch sehr
sauberen Schrift Lydian der Gesellschaft American Typefounders aus demselben Jahr,
die demgegenüber mit ihrem recht kontrastreichen Schreibduktus die Herkunft aus
der Hand des Kalligraphen Warren Chappell nicht verleugnet. Ebenso stark ist die
Grotesk-Antiqua Stahl der Klingsporschen Schriftgießerei aus dem Jahre 1939 vom
Schreiben beeinflußt; sie ist aber nicht wenig bemerkenswert, und zwar gerade wegen
dieser Qualitäten der Schreibkunst Rudolf Kochs, der die Zeichnung der Versalien
ausarbeitete, während Hans Kühne das Ensemble durch ein kleines Alphabet ver¬
vollständigte. Die Grotesk-Antiqua Chambord der französischen Schriftgießerei Ohve
aus dem Jahre 1945 steht den typographischen Qualitäten der Buchschrift bedeutend
näher, obwohl sie ursprünglich eigentlich nicht für den Buchsatz konzipiert war. Die
Bemühungen der modernen Schriftkünstler konnten also in dieser Richtung bis zur
Mitte unseres Jahrhunderts keine solche Antiqua ohne Serifen erzielen, die allen an
eine Buchschrift gestellten Anforderungen entsprochen hätte. Mit dem Jahre 1950
geht aber die Geschichte dieser Schriftform bestimmt nicht zu Ende, und es scheint
sogar, daß wir erst am eigentlichen Anfang ihrer Entwicklung stehen.
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