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/j. Konstruierte Renaissance-Majuskel. Francesco Torniello, 1517.
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KONSTRUIERTE RENAISSANCE-MAJUSKEL
et architettore eruditissimo' sind. Seine konstruierte Majuskel 'per geometria' ist also
ein bloßer Nachdruck der hier schon genannten Konstruktion Sigismundo Fantis aus
dem Jahre 1514. Selbständig beschäftigt sich mit dem Problem der Konstruktion einer
Inschriften-Majuskel erneut Gian Battista Verini in seinem vierbändigen Buch, das
im Jahre 1527 in Florenz erschien und den Kolumnentitel Luminario und auf den
Titelblättern mit lateinischem Text die Bezeichnung Liber Primvs (-Quartvs) Ele-
mentorum Litterarum Joannis Baptista de Verinis Florentini nouiter impressus führt.
Verini ging nach eigenen Worten ganz anders zuwege als seine Vorgänger, er be¬
gnügte sich nicht mit einer bloßen geometrischen Einteilung des Quadrates, sondern
bemühte sich im Begleittext - ähnlich wie der gleichzeitige französische Versuch - um
den Nachweis von Beziehungen zwischen den Proportionen des Schriftbildes der klas¬
sischen Majuskel zu jenen des menschlichen Körpers, sowie um die Applikation der
Architekturgesetze des Vitruvius auf ihre formale Komposition. Aus dem Muster seiner
Konstruktion (Abb. 13) geht allerdings nicht hervor, daß ihm diese Überlegungen
irgendwie die Lösung, die sich im Wesen keineswegs vom Verfahren seiner Vorgänger
unterscheidet, erleichtert hätten. Demgegenüber erkennt Giambattista Palatino in
seinem dem vorgenannten zeithch nächsten Schriftmusterbuch aus dem Jahre 1540
die Notwendigkeit irgendeiner Geometrie in der Zeichnung der Renaissance-Majuskel
in keiner Weise an und begnügt sich mit der Einordnung einfacher, unkonstruierter,
aber mit großem Geschmack gezeichneter Versahen, die er jedoch in einem graphisch
interessanten Durcheinander manchmal launig über die Seiten seines Sammelwerkes
verteilt, ähnlich wie das vor ihm bereits Tagliente tat (Taf. I). Vespasiano Amphiareo
quält sich in seinen Opera vom Jahre 1554 auch nicht mit einer differenzierten Kon¬
struktion und beschränkt sich auf eine bloße Plazierung der etwas schwerfälligen Buch¬
staben auf die horizontal geteilte Fläche des Quadrates (Abb. 16), bringt dafür
aber zusätzlich zwei Alphabete einer ornamentalen Renaissance-Majuskel, die mit
ihrer reichen Komposition aus Pflanzenranken bereits die Formentwicklung der ba¬
rocken Schriftkunst ankündigt.
Ein neues Beispiel der noch immer nicht verlöschenden Vorliebe für die geometrische
Schriftkonstruktion ist die Sammlung Sette alphabeti di varie lettere formati con ra¬
gion geometrica, die im Jahre 1554 von dem vatikanischen Schreiber Ferdinando
Ruano in Rom herausgegeben wurde. Es ist dies ein Buch, das schon mit seinem Titel
ähnhche konstruktivistische Tendenzen und Prinzipien verrät wie die Arbeiten der
Vorgänger Ruanos, ohne sie jedoch, so weit es sich um die Majuskel handelt, irgend¬
wie merklich zu übertreffen (Abb. 17). Eine Neuheit stellt in Ruanos Sammlung jedoch
der Versuch dar, die gleichen Konstruktionsgrundsätze auf die Buch- und Kursiv-
Minuskel des Renaissancetypus zu übertragen; wir werden später noch Gelegenheit
haben, auf diesen Umstand zurückzukommen. Am Ende der Aufzählung der Kalli¬
graphischen Sammlungen der italienischen Renaissance des 16. Jahrhunderts, die sich
mit der Form der klassischen Majuskel beschäftigen, sei noch das Handbuch II per¬
fetto scrittore erwähnt, das der Kalligraph Giovanni Francesco Cresci 1570 in Rom
herausgab. Aus den bekannten Mustern von Alphabeten, die Cresci hier vorführt,
wird deutlich, daß das konstruktivistische Fieber in der italienischen Schriftkunst zu
dieser Zeit offenbar bereits nachheß, was man aber von der ausdauernden Bewunde¬
rung der altrömischen Vorbilder nicht sagen kann, die in Crescis schöner Renais¬
sance-Majuskel mit großem Verständnis und Geschick getreu nachgeahmt sind. Das
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