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314. Lichte Beton. H. Jost; Bauersche Gießerei, ідзо.
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MODERNE AKZIDENZSCHRIFTEN
Die wohl größte Verachtung der Vertreter der sogenannten Schrifterneuerungsbe¬
wegung rief unter den Akzidenzschriften des 19. Jahrhunderts die Egyptienne hervor,
und erst in den zwanziger Jahres unseres Jahrhunderts brachte man ihr erneut die
gebührende Achtung entgegen. Damals wurde festgestellt, daß es nicht ganz richtig
gewesen war, die Schriften dieser Gruppe durchwegs zu verurteilen, und mit Hilfe
einiger Reste von Garnituren der alten Egyptienne, die in abgestellten Schriftkästen
alter Druckereien der Vernichtung entgingen, gelang der Nachweis der nicht alltägli¬
chen zeichnerischen Qualitäten dieser Schrift auch in der modernen Akzidenztypo¬
graphie. Durch diese Rehabilitierung, die allerdings nicht die fetten, bis heute be¬
nutzten Varianten der Neorenaissanceschriften mit Egyptienneserifen betraf, wie z. B.
die Schrift Säculum der Frankfurter Schriftgießerei D. Stempel AG aus dem Jahre
1907, wurde auch das kommerzielle Interesse der Schriftgußindustrie geweckt, die in
den folgenden Jahren eine ganze Reihe mehr oder weniger wertvoller moderner Ver¬
sionen der Egyptienne in vollständigen Familien von Varianten desselben Schnittes
auf den Markt brachte. Unter diesen neuen Schriften müssen vor allem die modernen
Repliken der Egyptienne des ig. Jahrhunderts angeführt werden, also Schriften in ganz oder
annähernd getreu beabsichtigter Reproduktion des Originalschnittes wie die Egyp¬
tienne Superba der schweizerischen Haas'schen Schriftgießerei, ein Werk B. Thieles aus
dem Jahre 1932 (Abb. 311). Besonders in der fetten breiten Variante ist diese Schrift
ein sehr gutes Beispiel der modernen Replik einer Egyptienneabart mit starken
ungekehlten Serifen. Dieselbe Schriftgießerei gab 1952 in verschieden fetten Varianten
der Zeichnung von H. Eidenbenz auch eine Replik der sogenannten englischen Egyp¬
tienne mit gekehlten Serifen unter dem traditionellen Namen Clarendon heraus. Die
dritte neue Egyptiennerephk dieser Schriftgießerei ist sodann die Profil aus dem Jahre
1947, eine besonders effektvolle ornamentale, konturumstochene und sehr plastische
geneigte Egyptienne (Abb. 312). Obwohl sich an ihrer Zeichnung zwei Autoren be¬
teiligten, nämlich Eugen und Max Lenz, kann man sie vor allem wegen der nicht
genügend runden Zeichnung der Buchstaben C, D, G, O, Q, doch nicht als ganz
vollendet ansehen.
Eine zweite Untergruppe der modernen Egyptienneschriften bilden solche, die nach
Mustern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts frei konzipiert wurden, also als
wirklich moderne Egyptienne angesprochen werden können. Die erfolgreichste unter diesen
Schriften ist zweifellos die Egyptienne Beton, die von Heinrich Jost gezeichnet und im
Jahre 1930 von der Firma Bauersche Gießerei in Frankfurt am Main herausgegeben
wurde. Diese sehr behebte Schrift ist zeichnerisch in der fetten Variante am besten
(Abb. 313), aber auch hier kann man an ihr eine Reihe von Mängeln feststellen, die
sie unnötigerweise beeinträchtigen. Gegenüber dem Originalschnitt der Egyptienne
des 19. Jahrhunderts ist zum Beispiel die einseitige, nach links gezogene Serife des
Versals A sicherhch keine Verbesserung, ebensowenig wie der neue Ansatz des Q,-
Schweifs und die nicht geglückte Zeichnung des Z, das nach hnks fällt. Auch im
kleinen Alphabet wirken beispielsweise die einseitigen unteren Serifen der Buchstaben
к und x ungünstig, ebenso wie die unschöne untere, nach rechts gezogene Serife des je.
Einige der angeführten Mängel sind in der halbfetten Variante noch auffälhger, vor
allem in der sehr drahtigen und unbelebten mageren Variante, aber als Vorzug muß
man der Jostschen Schrift die differenzierte Breitenproportion der einzelnen Buch¬
staben gutschreiben, die bei der Egyptienne des 19. Jahrhunderts als dem direkten
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