DIE LATEINSCHRIFT DER GEGENWART
tragen zu diesem allgemeinen Zug auch die zahlreichen modernen Akzidenzschriften im
alten Stil bei. In diese Gruppe werden nicht nur die fetten Varianten von Schriften ein¬
geordnet, die hier bereits unter den aus der Neorenaissancebewegung hervorgegangenen
Buchschriften angeführt wurden, wie zum Beispiel die amerikanische Cheltenham,
die französische Nicolas Cochin, die deutsche Augustea, die Sorbonne, die Genzsch-
Antiqua u. a., sondern auch viele schon als Akzidenzschriften konzipierte Neorenais-
sanceschriften, ebenso aber nicht weniger zahlreiche originelle moderne Schriften, wie
es einige von F. W. Goudy - die Goudy Open von 1918, die Goudy Bold aus den Jahren
1919-1921 (American Typefounders, Abb. 303), die Kennerley Open Caps von 1920, die
Kennerley Bold von 1924, die Deepdene Boldvon 1932 (Lanston Monotype) - und Schriften
anderer amerikanischer und europäischer moderner Schriftkünstler sind.
Ein modernes Aussehen verleihen der zeitgenössischen Akzidenztypographie wohl
nur jene neuen Schriften, die von den Akzidenzschriften des 19. Jahrhunderts abge¬
leitet sind, also aus einer nicht sehr fernen Vergangenheit stammen. Am wenigsten
beteihgt sich daran die moderne fette Antiqua und Italika des klassizistischen Typus, die heute
hauptsächlich durch sehr fette Repliken der ursprünglichen Schriften aus dem ersten
Viertel des 19. Jahrhunderts vertreten wird, die bisher niemals durch freier konzi¬
pierte moderne Varianten übertroffen worden sind. Hin und wieder begegnen wir auch
heute einer ursprünglichen breiten oder schmalen fetten Akzidenz-Antiqua des klas¬
sizistischen Typus des 19. Jahrhunderts. Ihre geringe Widerstandsfähigkeit gegenüber
den technischen Vorgängen, die wir bereits früher bei den klassizistischen Buchschriften
erwähnten, ist der Grund für ihre jetzt schon große Seltenheit. Hierzu trug auch die
Mißgunst bei, mit der man am Ende des vergangenen und in den beiden ersten Jahr¬
zehnten dieses Jahrhunderts den Schriften der vorausgegangenen Stilperiode begegnete
und die solche Schriften massenhaft auch ohne Rücksicht auf ihren technischen Zu¬
stand ausscheiden heß. Als in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts die graphi¬
schen Qualitäten der fetten Antiqua, die zu dieser Zeit nur in sehr abgenutzten oder
unsauberen Ensembles vorhanden war, rehabihtiert wurden, entsprach die Schriftgu߬
industrie der Nachfrage durch moderne Repliken und Varianten dieser Schrift, die
heute unter verschiedenen Bezeichnungen wieder im Schriftmaterial beinahe jeder
besser ausgestatteten Druckerei vertreten ist. Natürhch gibt es eine recht große Zahl
solcher Schriften, denn kaum eine Schriftgießerei von Rang begnügte sich mit einer
einzigen Version, und deshalb bleibt uns nichts anderes übrig, als hier lediglich einige
bessere und bedeutendere Schriften dieser Art zu verzeichnen. Am häufigsten sind
verschiedene und verschieden fette Modifikationen moderner Kopien der Antiqua und
Italika von G. B. Bodoni, allerdings außerhalb Frankreichs, wo die Didot Gras der
heimischen Schriftgießereien überwiegt. Fette Didotschriften werden aber verschie¬
dentlich auch außerhalb Frankreichs hergesteht, und wir finden sie als Fette Didot
unter den Proben deutscher Schriftgußfirmen. Aus deutschen Schriftgießereien kom¬
men auch verschiedene fette Bodonischriften, wie etwa die sehr häufige, in der Fette
der Zeichnung recht gemäßigte Schrift Fette Bodoni der Firma Berthold & Stempel.
Aber auch in der Produktion solcher Schriften errang die Schriftgußindustrie Amerikas
mit verschiedenen Schriften des Typus Bodoni Black, Bodoni Bold u. a. das Übergewicht.
Aus der Produktion der Gesehschaft American Typefounders stammt die fette Empi-
riana, eine ähnliche Schrift der ehemahgen Prager Schriftgießerei (Abb. 304), deren
ornamentale Ergänzung eine lichte Empiriana ist, ein Ensemble von Versahen mit
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ABCDEFG
HIJKLMN
OPQRSTU
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1234567890
abcdefghij
klmnopqr
stuvwxyz
1
303. Goudy Bold. F. W. Goudy; ATF, ідід-ідгі.
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