DIE LATEINSCHRIFT DER GEGENWART
wegs ein graphischer Mangel, sondern eher ein Gewinn, denn dem Satzganzen
verleiht dies einen nicht alltäglichen graphischen Reiz, der an die frühen Italika-
Drucke erinnert. Viel stärker unterscheidet sich von der Perpetua sodann die Antiqua
Solus type, die Gül 1929 für die Monotype Corporation schuf (Abb. 280). In der Kon¬
struktion beider Alphabete ist sie bis auf die etwas engeren Proportionen zwar nahezu
identisch, aber in der Behandlung dieser Konstruktion wird die alte Tradition der
Schreib- und monumentalen Schriftkunst schon völlig verlassen. Das macht sich haupt¬
sächlich in der Form der flachen ungekehlten Serifen bemerkbar, die in den größeren
Schriftgraden beinahe das Aussehen der Serifen der Egyptienne haben. Die Antiqua
Solus wird von keiner Itahka begleitet, dafür hat eine weitere Schrift Gills, die Joanna
aus dem Jahre 1931, eine besonders bemerkenswerte Itahka (Abb. 285). Diese Schrift
wurde für den eigenen Bedarf in der Druckwerkstatt gezeichnet, die Eric GiU und
sein Schwiegersohn René Hague in Pigotts, Buckinghamshire, gründeten. Die Antiqua
steht mit der Verteilung der Farbe und der Form der Serifen der vorangegangenen
Schrift Solus sehr nahe, aber in der Konstruktion ist sie wie diese deuthch der Perpetua
verwandt. Eine neue und ganz ungewohnte Zeichnung hat auch die senkrechte Ita¬
lika, eine sehr schmale und - mit Ausnahme der Buchstaben a und g - völlig unkursive
Schrift. Ebenso wie die Itahka Golden Cockerel type hat auch diese Itahka kein eigenes
Ensemble geneigter Versahen. Neorenaissancecharakter hat wiederum die Aries type,
eine exklusive Schrift, die GiU 1932 für die Stourton Press schuf und die technisch von
der Caslonschen Schriftgießerei ausgeführt wurde (Abb. 281). Mit der Itahka und
dem kleinen Alphabet der Antiqua stellt sie eine beinahe nicht unterscheidbare Ana¬
logie der Perpetua dar, und nur in der Zeichnung weniger Antiqua-Versalien ist sie
einigermaßen neu. Der Buchstabe U hat hier schließlich keinen Minuskelschaft, aber
die größere Verstärkung des rechten Teiles seines Bildes kann man nicht für besonders
geglückt halten. Als weitere Modifikation der Perpetua darfauch die letzte Druckschrift
Gills gelten, die Bunyan type aus dem Jahre 1934, eine sehr breite und lichte Antiqua
mit großem Schriftbild, aber wieder ohne Italika. Diese Schrift, ursprünghch für den
Limited Editions Club in New York geschaffen, wurde 1953 unter der Bezeichnung
Pilgrim auch für den Maschinensatz herausgegeben, und zwar von der englischen
Fabrik Linotype.
Außergewöhnliches Aufsehen erregte in der zeitgenössischen Typographie der Welt
neben den Schriften Eric Gills auch eine englische moderne Schrift, die besonders
durch den Umfang der wissenschaftlichen und technischen Vorbereitungen und die
Gründlichkeit der verantwortungsvollen Sorge interessant ist, die ihrer Entstehung
vorausging. Es handelt sich um die Times New Roman, eine Schrift, die im Jahre 1932
alles bisherige Satzmaterial der Londoner Tageszeitung The Times ersetzte, deren
Leitung zuvor im Jahre 1931 Stanley Morison mit der Durchführung von Forschungen
und Experimenten zur Feststellung des Maximums der möglichen graphischen und
setzerischen Qualitäten einer Gebrauchsschrift betraut hatte. Von der neuen Schrift
wurde unter anderem verlangt, sie solle 'mannhaft, enghsch, einfach und so neu sein,
wie es der Zeitungssatz nur gestattet' ; die erste Forderung war jedoch ein Maximum
an Lesbarkeit, vereint mit maximaler Sparsamkeit im Satz. Allseitigen und gründ¬
lichen technischen und optischen Prüfungen wurden zunächst viele bereits existieren¬
den Schriften unterworfen, unter anderen auch die Baskerville und Gills Perpetua.
Erst auf der Grundlage der so gewonnenen Erfahrungen nahm man die Realisierung,
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ABCDEF
GHIJKLM
NOPQRST
UVWXYZ
abcdefghijk
lmnopqrstu
vwxyz
286. Times New Roman, erste Fassung. The Times, ідзі.
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