DIE LATEINSCHRIFT DER GEGENWART
monds, Granjons und Jannons und den Spätrenaissanceschriften des niederländisch¬
englischen Typus in Gestalt solcher von der Art der Antiqua und Italika William
Casions. Während die Erneuerungsbewegung des 19. Jahrhunderts bei den Schriften
mit Renaissanceschnitt als dem schriftkünstlerischen Ideal haltmachte, unternahm die
moderne Typographie ihre Beutezüge auch in die späteren Stilepochen und eignete
sich ebenso die Barockschriften des Übergangstypus an, vor allem die von Fournier
und Baskerville und schließhch auch die klassizistischen Schriften, gegen die sich
ursprünglich gerade die 'Revolution' der schriftkünstlerischen Erneuerung gerichtet
hatte. So fehlen auch die verschiedenen Kopien der Antiqua und Italika der Didots,
G. B. Bodonis, E. Walbaums und ihrer Nachfolger keineswegs in der vollständigen
historischen Überschau, als die sich uns der heutige Stand des typographischen Buch¬
schriftenmaterials notwendigerweise darbietet.
Die Renaissance-Antiqua des venezianischen Typus faßte nach drei Jahrhunderten
der Vergessenheit dank der Initiative Wilham Howards und hauptsächlich William
Morris' erneut und fest in unserem Buchdruck Fuß, und heute steht sie ihm in einer
ganzen Reihe von Kopien für den Hand- und Maschinensatz zur Verfügung. Am
häufigsten wurde allerdings die Antiqua von Jensons Eusebius kopiert, aber mit sehr
unterschiedhchem Erfolg, weshalb diese Kopien auch einige Abweichungen zeigen,
sowohl voneinander gegenseitig, als auch von ihrer Vorlage. Es ist interessant, daß die
getreueste moderne industrielle Kopie der Jensonschen Antiqua die älteste dieser
Schriften ist, nämlich die amerikanische Rephk Cloister Old Style der Gesellschaft Ame¬
rican Typefounders aus den Jahren 1913-1914, jetzt auch für Setzmaschinen der
Firmen Linotype, Intertype und Monotype in deren Ausgaben zugänglich (Abb. 256).
Ihr Autor, Morris Fuller Benton, traf hier wirklich hervorragend den Charakter seiner
Vorlage im Detail der Schriftzeichnung und in der Gesamtheit des Satzes, der be¬
sonders in den mittleren Schriftgraden beinahe restlos mit dem Satz Eusebius aus dem
Jahre 1470 übereinstimmt. M. F. Benton mußte seine Schrift allerdings durch die
zugehörige Italika ergänzen, deren Schriftform zur Zeit Jensons unbekannt war. Ben¬
ton löste auch dieses Problem sehr erfolgreich, indem er den Versalien der Italika
die Zeichnung der Antiqua-Versalien beließ, um ihnen nur eine entsprechende Nei¬
gung zu verleihen, während er sich im kleinen Alphabet an die Zeichnung des Aldus
Manutius anlehnte, die er mit Hilfe einiger Elemente der Italika des französischen
Renaissancetypus korrigierte. Die dunkle Farbe der Jensonschen Antiqua im modernen
Buchsatz ist aber nur selten erwünscht, weshalb M. F. Benton im Jahre 1914 noch
eine leichtere Version zeichnete, die unter dem Namen Cloister Lightface ebenfalls von
der Firma ATF produziert wurde. Die für die moderne Druckschriftenproduktion so
kennzeichnende Tendenz, Schriften in ganzen Serien verschiedener Varianten herzu¬
stellen, veranlaßte M. F. Benton in den Jahren 1915-1916, diese seine Jensonsche
Replik für die American Typefounders gänzlich stillos durch eine weitere Modifika¬
tion für den Bedarf des Akzidenzdruckes zu ergänzen, nämlich die sehr fette Schrift
Cloister Bold, die später auch von allen Setzmaschinenfabriken herausgegeben wurde.
Die Schriftgießerei ATF krönte dann das Ensemble mit einer weiteren Variante, der
Schrift Cloister Bold Condensed, einer sehr fetten und engen Abart, die an die Jensonsche
Antiqua nur noch mit einigen typischen zeichnerischen Elementen erinnert, und zwar
mit den beiderseitigen oberen Serifen des Versals M und dem schrägen Querstrich der
Minuskel e u. ä., aber in der wichtigsten Beziehung, nämlich den Proportionen, mit
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ABCDEFGHIJ
KLMNOPQRR
STUVWXYZ abcdefghijkl
mnopqrstuvwxyz &12345678
ABCDEFGHIJKLMNOP^
RSTUVlVXYZabcdefghijk
Imnopqrstuvwxyz & 123456789
256. Cloister Old Style. M. F. Benton, igij-igi^; ATF.
ABCDEFGHIJ KLMNOPQ
RSTUVWXYZ abcdefghij
klmnopqrstuvwxyz & 12345
ABC DEFQHIJ KLMNOPQ
PySTUVWXYZ abcdefghij
i\l mnopqrstuvwxyz & 12345
257. Italian Old Style. F. W. Goody, 1924; am. Monotype.
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