GROTESK
sind (Abb. 223). Um so mehr müßte auch schon die Block in Vergessenheit geraten
sein, eine mit starken Verfallserscheinungen und in zahlreichen Varianten überall
spukende Grotesk-Abart, die von den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts bis etwa
zum ersten Weltkrieg erzeugt wurde, eine Schrift, die sich durch einen absichtlich
unregelmäßigen, gewissermaßen nachlässig umstochenen Umriß der breiten Flächen
der mehr oder weniger deformierten, gewöhnlich sehr fetten ursprünghchen Grotesk¬
zeichnung auszeichnet. Auch in den annehmbarsten Versionen, wie es zum Beispiel
die Block der Firma Berthold aus der Zeit um 1900 (Abb. 224) ist, handelt es sich um
eine Schrift, die heute in den Musterbüchern der Druckereien nicht mehr erscheinen
sollte, und noch weniger auf Plakaten und in anderen Drucksachen. Das gilt noch
mehr für andere Versionen dieses Typus, von denen die sogenannte zerzupfte Block
den Gipfel der graphischen Geschmacklosigkeit darstellt, eine Spielart mit besonders
ausgefranstem Umriß der unreinen Grundzeichnung.
Die Grotesk ist in der morphologischen Reihenfolge schon die sechste Grundform
der Akzidenztypographie in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, und ebenso wie
alle übrigen - die fette Antiqua, die fette Italika, Egyptienne, Italienne und Tosca¬
nienne - wurde auch die Grotesk von den anonymen Dessinateuren aller europäischen
und amerikanischen Schriftgießereien zu den mannigfaltigsten ornamentalen Va¬
rianten verarbeitet, wenn auch nicht in so reicher Zahl wie die vorangegangenen
Formen. Insgesamt ist die ornamentale flächige Grotesk nur sehr schwach vertreten, selten
geworden ist z. B. die lichte Kontur-Grotesk, mit deren Form erstmalig Figgins im
Jahre 1833 herauskam. Beispiele einer anderen, allereinfachsten ornamentalen Form,
der sogenannten umstochenen Grotesk, kommen erst in der Art der ziemlich späten
französischen und deutschen Schriften etwa aus der Zeit nach der Mitte des 19. Jahr¬
hunderts vor, die in unserer Probe (Abb. 225) von den Buchstaben P und Y repräsen¬
tiert werden. Das R ist einer ebenso bearbeiteten französischen beschnittenen Grotesk
entliehen, die aus der gleichen Epoche stammt. Das sind wohl im großen und ganzen
die wichtigsten Varianten der ornamentalen flächigen Grotesk, vielleicht mit Aus¬
nahme der flächigen ornamentierten Groteskschriften, die hier später in anderem
Zusammenhang behandelt werden.
Mit dem A derselben Probe ist auch schon eine alte französische Grotesk mit ein¬
fachsten Anzeichen von Dreidimensionalität vertreten, und damit also auch die orna¬
mentale plastische Grotesk. Plastischer als sie sind die Buchstaben X und L aus der runden
Grotesk William Thorowgoods von 1834 und aus der Caslonschen Schriftgießerei um
1844. Einen bedeutend stärkeren Eindruck von Dreidimensionalität rief aber eine
andere Thorowgoodsche Schrift aus dem Jahre 1834 hervor (H, I), wahrscheinlich
die älteste plastische Grotesk überhaupt. Aus derselben Zeit stammt wohl auch die
schöne lichte dunkel schattierte Grotesk des 19. Jahrhunderts, die heute von der engli¬
schen Firma Stephenson Blake & Co erneut aus den Originalmatrizen gegossen wird
(Abb. 226). In der zusammenfassenden Probe ist das Qaus einer französischen Schrift
des gleichen Schnittes ausgewählt, aber aus einer schmalen Variante. Das J stammt
aus einer deutschen lichten doppelt schattierten Grotesk, die ihre Analogie in einer
vollen, licht und schraffiert modellierten Grotesk hat, wie sie in der deutschen und
französischen Typographie nach der Mitte des 19. Jahrhunderts geläufig war (F).
Einer amerikanischen beschnittenen und schraffierten Grotesk etwa derselben Zeit ist
das D entnommen. Schließlich entstammt das О einer beschnittenen Grotesk mit nach
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