220. Englische schmale Grotesk des ig. Jahrhunderts.
ABCDEFGHIJKL
MNOPQRSTUVX
1234567890
a 6c defg h i¡к I m
nopqrstuvxyz
221. Französische geneigte Grotesk des ig. Jahrhunderts.
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GROTESK
Schnitt dieser Schrift nichts Groteskes ist. In der nichttypographischen französischen
Schriftkunst wird eine Schrift ohne Serifen le baton (Stäbchenschrift) genannt, eine
sicherlich treffende Bezeichnung, die aber in der Typographie, die uns diesbezüglich
interessiert, niemals benutzt wurde.
Die ältesten Groteskschriften des 19. Jahrhunderts waren tatsächlich Egyptienne-
schriften mit beseitigten Serifen, was - wie bereits gesagt - wahrscheinlich das Ver¬
fahren ihrer Entstehung darsteht. Mit den gleichzeitigen Egyptienneschriften hatten
die ersten Groteskschriften auch das Prinzip der einheitlichen Stärke aller Züge und
die dunkle Farbe gemeinsam. Die ersten Grotesk-Ensembles bestanden ausschließlich
aus Versalien; in dieser Zusammensetzung war die Grotesk also keine Neuheit, son¬
dern die Rückkehr in die älteste Geschichte der Lateinschrift. Ein wirklich neuer for¬
maler Beitrag war erst die Hinzufügung eines kleinen Alphabets der gleichen Art;
dazu kam es in England erst 1834 in der komprimierten Variante der Grotesk William
Thorowgoods. Auch unter den Groteskschriften wuchsen im Lauf der Zeit verschiedene
Abarten heran, die sich nach der Breite des Schriftbildes und der Stärke der Schrift¬
zeichnung unterscheiden. Das ganze 19. Jahrhundert hindurch und in unserem Jahr¬
hundert bis zum ersten Weltkrieg war eine Grotesk am häufigsten, die eine gemäßigte
Zeichnung sowohl hinsichtlich der Proportionen als auch der Stärke der Schriftzüge
aufweist, also jene Form, die in den heutigen Musterbüchern der Druckereien ge¬
wöhnlich die Bezeichnung halbfette Grotesk trägt. Ein sehr schönes Beispiel dieser Grund¬
form stellt die noch recht häufig vorkommende Grotesk aus der Zeit vor 1900 aus der
Schriftgießerei Klingspor in Offenbach dar (Abb. 218). In der Zeichnung dieser
Schrift können wir alle typischen Merkmale der Grotesk des 19. Jahrhunderts nach¬
weisen, die uniforme Proportion aller Versalien mit Ausnahme der Buchstaben I, M,
W, das nicht unter die Grundlinie gezogene J, die einbäuchige Form der Minuskel g
usw. Nur der schräg abgeschnittene Schaft des t zeugt vielleicht von der Entstehung
dieser Schrift in der späten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Ergänzung solcher
Schriften ist gewöhnlich eine geneigte Grotesk, die zeichnerisch bis auf die 'kursive'
Neigung und die eventuell einbäuchige Zeichnung des a völlig mit der normalen
Grundform übereinstimmt (Abb. 221), ähnhch wie die geneigte Grotesk der Caslon-
schen Schriftgießerei von 1834, die erste Schrift dieser Art überhaupt. Von derselben
Firma wurde erst im Jahre 1890 auch eine rückwärtsgeneigte Grotesk herausgegeben,
aber in einer Form, die bereits ziemliche Verfallserscheinungen aufweist.
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden alle Groteskschriften in ganzen Fami¬
lien verschieden fetter Varianten der gleichen Schriftzeichnung erzeugt. Auch die
genannte Schrift der Firma Klingspor wird von der zugehörigen mageren Grotesk be¬
gleitet, und zwar im charakteristischen Schnitt des 19. Jahrhunderts, wie ihn etwa
1847 erstmalig die Figginssche Schriftgießerei herausbrachte. Die Groteskschriften
sind aber manchmal noch viel dünner, und dann nennt man sie Draht-Grotesk, womit
die übertrieben dünne Zeichnung des gewöhnhch nicht weniger übertriebenen engen
Bildes dieser heute schon sehr selten vorkommenden Gattung der Akzidenzschrift
deutlich charakterisiert ist. Diese drahtige, nur das Skelett des Schriftbildes kenn¬
zeichnende Zeichnung führte William Thorowgood im Jahre 1835 unter der Bezeich¬
nung Skeleton in die Typographie ein; wie wir wissen, wurde dieser Name auch für
analoge Schriften vom Schnitt der Egyptienne und Toscanienne verwendet. Seither
begegnen wir manchmal auch der Bezeichnung Skelett-Grotesk.
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