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218. Halbfette Grotesk des ig. Jahrhunderts.
TOSCANIENNE
derts begegnen wir viel häufiger einer anderen typischen gemischten Toscanienne
(Abb. 216 A-D), die sich um 1849 im Besitz der englischen Firma Stephenson Blake
& Co. befand und heute erneut von der Pariser Fonderie Typographique Française
unter der Bezeichnung Romantiques N0 2 gegossen wird; gleichzeitig wird der Autor
angegeben, C. Derriey, der sie angeblich erst in den Jahren 1850-1860 schuf. Diese
reizvolle plastische Schrift ist in ihrem unteren Teil wieder eine lichte, sichelförmig
gespaltene Toscanienne, steht aber mit ihrem oberen Teil den abgeschnittenen Schrif¬
ten vom Typus Parisian näher.
Die Toscanienne behauptete sich im europäischen und amerikanischen Buchdruck
in allen hier angeführten Formen bis etwa ins letzte Viertel des 19. Jahrhunderts, in
dem plötzlich ihre Beliebtheit sank, was sich besonders auf ihre pseudobarocken Va¬
rianten bezieht. Kurz darauf wurde sie durch die Jugendstil-Toscanienne ersetzt, bei
der in Übereinstimmung mit dem neuen Stilgefühl alle ihre Formen weich und un¬
bestimmt sind. Aber auch eine solche amorphe Jugendstil-Toscanienne war auf an¬
deren schriftkünstlerischen Gebieten als in der Typographie häufiger und zeichnerisch
annehmbarer. Darum findet man unter den Buchdrucklettern kaum viel bessere und
typischere Beispiele für sie als unsere Probe aus der amerikanischen Jugendstil-Schrift
vom Ende des 19. Jahrhunderts (Ab. 216 E-G). Inzwischen aber widmeten auch die
letzten Mohikaner der aussterbenden Zunft der Berufskalligraphen in ihren Schreib¬
büchern den Akzidenzdruckschriften ein entsprechendes Interesse. Daraus entwickelten
sich im Laufe der Zeit auch Inschriftenschriften, und gerade in diesen Quellen finden
wir weitere Varianten der Toscanienne, die im Buchdruck nicht vorkamen (Taf.
LIV). Wenigstens einen kleinen Hinweis unter diesen Varianten verdient die Perspek-
tiv- Toscanienne, die in Bellezas de la Caligrafía enthalten ist, einer von R. Stirling 1830
in Barcelona herausgegebenen Sammlung. Etwas später und in kaum veränderter
Form erscheint sie auch in Recueil d'Alphabets dédié aux Artistes, das Jules Blondeau
in Paris herausgab. Sie ist eine plastische Toscanienne von gewöhnlicher Zeichnung,
aus der Seitenansicht konzipiert und mit einer ausgeprägten Modellierung breiter
Flächen der Seitenkanten versehen. Mit dieser vereinzelten Form der Toscanienne
schließen wir vorläufig ihre kurze morphologische Übersicht ab.
Die Toscanienne als Schriftart verfiel der tiefsten Verachtung jener Kenner, die sich
ausschließlich auf ästhetische Gesichtspunkte des Buchschriftschaffens orientierten.
Das hinderte nicht, daß die Toscanienne in die Titelblätter der Buchproduktion des
19. Jahrhunderts eindrang. Wenn wir zum Beispiel Titelblätter der tschechischen Li¬
teratur dieser Zeit betrachten, können wir unbefangen feststellen, daß ihre Typo¬
graphie, die mit großer Vorliebe verschiedene Varianten der Toscanienne verwendet,
keineswegs so schlecht ist. Man kann im Gegenteil nicht bezweifeln, daß vor allem
diese Schriften den Drucken der Jahrzehnte um die Mitte des 19. Jahrhunderts Zeit¬
charakter und Reiz verleihen. Als Ausdruck eines verhältnismäßig kurzen Zeitab¬
schnitts degenerierte die Toscanienne sehr schnell, um mit ihrer Zeit unterzugehen.
Bei der Rehabilitierung der Akzidenzschriften in den zwanziger Jahren unseres Jahr¬
hunderts wurde die Toscanienne als zu stark zeitbedingte Form übergangen, und es
kam zu keiner Ausgabe moderner Repliken irgendeiner ihrer zahlreichen Varianten.
Erst nach dem zweiten Weltkrieg beginnt die moderne Typographie ihre Muster
wieder zu berücksichtigen, was aus Inseraten und Musterbüchern alter englischer,
französischer und anderer Schriftgußfirmen hervorgeht.
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