DIE SOG. VERFALLSCHRIFTEN DES XIX. JAHRHUNDERTS
könnte. Dafür aber gab im Jahre 1862 James Wood einige Schriften heraus, die in
dieser Beziehung auch die am stärksten barockisierten Varianten unter den Antiqua-
Toscanienneschriften übertrafen. Das von N. Gray publizierte Beispiel Woodscher
Schriften dieser Art (Abb. 209) hat vielleicht überhaupt keine Analogie unter den
Akzidenzschriften des 19. Jahrhunderts,-und auch in der barocken Schriftkunst finden
wir nur schwer eine Schrift, die ihr an barocker Ornamentierung der Schriftzeichnung
gleichkäme.
Wenn unter den Toscanienneschriften so allseitig die Grundform der Egyptienne
Verwendung fand, ist es natürlich, daß darunter auch die Italienne-Toscanienne vor¬
kommt. Diese Modifikation war freilich durch das Magere der Grundzeichnung cha¬
rakterisiert, andererseits aber durch fette gespaltene Serifen, gleichgültig ob es sich
um die breite oder schmale Italienne-Toscanienne handelte. Unter den breiten Schrif¬
ten dieses Typus war jene Form am geläufigsten, die sich stellenweise bis heute im
Originalschnitt des 19. Jahrhunderts erhielt (Abb. 210 A-F). Viel älter als diese ur-
sprünghch anscheinend deutsche Schrift mit den schweren sichelförmigen Serifen war
die schmale Italienne-Toscanienne, die in England von Caslon etwa ab 1856 und
annähernd zur selben Zeit auch von französischen Schriftgießern produziert wurde
(Abb. 210 I-N). In dieser Schrift wird die magere, lichte, recht plastisch schattierte
Schriftzeichnung von entsprechend großen ringförmigen Serifen ergänzt. Schwere
sichelförmige Serifen trägt auch die enge Italienne-Toscanienne der deutschen und
amerikanischen Schriftgießer (Abb. 210 G, H, h), die zweifellos jünger ist, dafür aber
in einem Ensemble des großen und kleinen Alphabets auftritt.
Während die bisher angeführten Schriften aus der Gruppe der Toscanienne eine
nähere oder fernere Beziehung zu manchen Grundformen der nichtgespaltenen Akzi¬
denzschriften aufwiesen, zeigen die weiteren Toscanienneschriften, zu denen wir jetzt
gelangen, keineswegs eine solche Verwandtschaft. Die zeichnerisch einfachste Variante
dieser formal unabhängigen Toscanienneschriften ist die Skelett-Toscanienne, die zwar
ihre Analogie z. B. in der Skelett-Egyptienne hat, aber diese Analogie beruht nur
auf der gleichen Andeutung der Schriftzeichnung mit mehr oder weniger dünnem
und undifferenziertem Strich einschließlich der Serifen. In so gezeichneten Toscanien¬
neschriften (Abb. 211) kann man sicher kaum irgendeine Verwandtschaft mit Schriften
eines anderen Typus suchen, als einzig und allein mit den Toscanienneschriften. Damit
wird uns also erneut die Berechtigung einer besonderen Schriftgruppe bestätigt, die
wir behelfsweise als Toscanienne bezeichnen, einer Gruppe, deren Notwendigkeit von
Anfang an vielleicht gar nicht so dringend erschien. In unserer Auswahl verschiedener
Skelett-Toscanienneschriften ist die älteste jene mit Haarstrichen gezeichnete Schrift,
die mit hohlen Zierringen inmitten der Schäfte und mit stark geringelten Serifen ge¬
schmückt ist. In England besaß sie Wilson im Jahre 1843, und 1848 hatten sie auch
deutsche Schriftgießer, und zwar im Ensemble des großen und kleinen Alphabets
(Abb. 211 G, H, h). Analog, aber etwas abweichend dekoriert ist die Letter A aus der
Woodschen Schrift von 1862. Weniger geringelte Serifen und eine etwas stärkere
Zeichnung weist die Schrift der englischen Firma Miller & Richard auf, die ebenfalls
aus der Zeit um i860 stammt (E, F). Gerade Sérifenabspaltungen hat die schmale
Figginssche Toscanienne mit dem kleinen Alphabet etwa aus dem Jahre 1865 (D, d),
die nur um wenig später in den Musterbüchern der deutschen Schriftgießereien ver¬
treten war. Aus demselben Jahr stammt die breitere und anders verzierte Figginssche
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