DIE SOG. VERFALLSCHRIFTEN DES XIX. JAHRHUNDERTS
gien der kugelförmigen Serifen auch in der Schaftmitte und an anderen Zügen des
Schriftbildes (G, J, L), oder schließlich Zwillinge so gelagerter Gebilde aufweisen. Am
interessantesten unter diesen Schriften ist sodann die Medausche Toscanienne, die in
unserem Alphabet durch das J vertreten ist. Eine Schrift dieses Schnittes, die die
Caslonsche Schriftgießerei in der Zeit um 1830 verließ, wird heute erneut unter der
Bezeichnung Scroll Shaded von der englischen Schriftgießerei Stevens Shanks angeboten.
Die Zahl der ornamental verschieden behandelten Varianten der flächigen und
plastischen Antiqua-Toscanienne des 19. Jahrhunderts ist allerdings weit größer, als
dies unsere bescheidene, aber dennoch so vielfältige Auswahl typischer Beispiele wie¬
derzugeben vermag. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts gewinnen dann unter solchen
Toscanienneschriften wenig gelungene Formen die Oberhand, in denen sich immer
stärker Symptome einer begreiflichen Erschöpfung der Inspiration der Dessinateure
der zeitgenössischen Schriftgießereien widerspiegeln. Es geht uns also nicht viel ver¬
loren, wenn wir die Schriften dieser Gruppe verlassen und unsere Aufmerksamkeit
den Toscanienneschriften zuwenden, in deren Zeichnung wir eine andere Grundform
feststellen oder wenigstens ahnen können. Der Antiqua-Toscanienne kommt zweifellos
die Egyptienne-Toscanienne am nächsten, wie wir eine ganze Reihe von Schriften be¬
zeichnen können, und zwar mehr nach der Gesamtgestaltung ihrer Zeichnung als nach
der Form typischer, wenn auch auf verschiedene Art gespaltener Egyptienne-Serifen.
Aus diesem Grunde sind dann allerdings einige Schriften in der Klassifikation un¬
sicher, wie etwa die hochornamentierte pseudobarocke Toscanienne von Marr aus der
Zeit um 1853 (Abb. 208). Sicherer in diese Gruppe einzureihen sind viele flächige und
plastische Schriften mit deutlicherer Egyptiennezeichnung, etwa die verschiedenartig
ornamental behandelten und mit sichelartig gespaltenen Serifen versehenen. In un¬
serer Probe solcher englischer, französischer, deutscher und amerikanischer Tosca¬
nienneschriften ist offenbar die flächig gelöste dekorative Schrift des Medauschen
Musterbuches am ältesten (Abb. 201 F), die die Firma Miller & Richard in England
erst 1857 besaß. Die ältesten englischen Schriften dieser Art sind sodann die plastische
umstochene volle und die schraffierte Toscanienne der Firma Stephenson Blake aus
der Zeit um 1849 (Abb. 201 A, C). Etwas fremd wirkt in unserer Probe der Buchstabe
M, der hier magere Varianten der Egyptienne-Toscanienne vertritt und einer Schrift
entnommen ist, die 1865 in England gleichzeitig bei Caslon, Figgins und der Firma
Stephenson Blake & Co. und einige Jahre zuvor in Deutschland auftritt. Am präch¬
tigsten sind aber die Buchstaben H, I und L aus französischen Schriften der Periode
vor der Mitte des 19. Jahrhunderts, denen durch ihre dekorative Behandlung nur die
massive und dabei dynamische Egyptienne-Toscanienne mit den sichelförmigen Se¬
rifen gleichkommt (Abb. 202) ; sie ist eine der schönsten ornamentalen Schriften der
Medauschen Produktion, von der ich bisher nirgends ein zweites Beispiel finden konnte.
Die Egyptienne-Toscanienneschriften mit sichelförmigen Serifen waren in der zweiten
Hälfte des 19. Jahrhunderts in offenbar besonders beliebten Formen mit analogen
sichelförmigen Ansätzen inmitten der Unken Seite des Schriftbildes oder aller verti¬
kaler Züge vertreten. Eine solche voll gefärbte Schrift mit lichtem Schatten auf der
rechten Seite besaß Medau bereits in einem großen Ensemble von Schriftgraden, um
1856 hatte sie auch Caslon in England, während sie in Amerika zusammen mit dem
kleinen Alphabet geläufig war (Abb. 203 C, D, E, e). Um das Jahr 1856 verfügte
Caslon auch über eine schmale und um 1857 über eine breite lichte Variante (Abb.
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