TOSCANIENNE
Grundform der Schrift möglich und wurde auch im 19. Jahrhundert angewandt. Wir
hätten also viele dieser Schriften bereits früher anführen können. So wäre es möglich
gewesen, etwa unter die fetten Antiquaschriften auch solche mit gespaltenen Serifen
einzureihen, und ebenso hätten wir als gespaltene Egyptienne einige Schriften klas¬
sifizieren können, in deren Form die Grundzeichnung der Egyptienne festzustellen
war. Aber neben den so klassifizierbaren Schriften gibt es eine ganze Reihe anderer,
deren Grundform unsicher ist, und darum bleibt nichts anderes übrig, als aus allen
gespaltenen Schriften des 19. Jahrhunderts eine besondere Gruppe zusammenzustellen.
Eine Schwierigkeit besteht bloß darin, wie man die Schriften dieser Gruppe bezeichnen
soll, denn in der Fachterminologie haben wir hierfür keine besonderen Namen. Eine
Ausnahme bildet nur die neuere französische Bezeichnung lettre Philocalienne, die jedoch
an eine viel zu ferne Vergangenheit anknüpft und auf diese Weise nicht dem Geist
des Schriftschaffens des 19. Jahrhunderts gerecht wird. Ich halte es für das günstigste,
in dieser Not zur Analogie der eingebürgerten Benennungen Egyptienne und Ita¬
lienne zu greifen und behelfsweise den Terminus TOSCANIENNE zu verwenden.
Er ist sachlich und philologisch nicht minder kurios als seine Analogien und oft auch
als der Gegenstand dieser Bezeichnung selbst, und ist deshalb - hoffe ich - zulässig und
verzeihlich.
Wenn aus irgendwelchen Gründen gespaltene Akzidenzschriften des 19. Jahrhun¬
derts nicht jenen Schriften zugesellt werden können, mit denen sie eine verwandte
Grundform haben, ist es dagegen möglich, unter diesen Toscanienneschriften zur
Erleichterung der Übersicht je eine Antiqua-, Egyptienne-, Italienne-Toscanienne
u. a. zu unterscheiden. Die erste wird in unserer Übersicht demnach die Antiqua-Tos-
canienne sein, und zwar nicht nur analog zur vorausgegangenen Folge unserer morpho¬
logischen Analyse, sondern auch aus Gründen der Chronologie. Die ersten Tosca¬
nienneschriften kann man überhaupt als Antiquaschriften ansehen, obwohl ihre
Verwandtschaft mit diesem Prototyp nur sehr allgemein ist. Mit der fetten Akzidenz-
Antiqua des klassizistischen Typus haben diese Schriften - sei es zum Beispiel die ein¬
fach zwiegespaltene Tuscan von Vincent Figgins aus dem Jahre 1821 oder die Tuscan
mit halbkreisförmigen Vorsprüngen in der Mitte der Serifenspalten, die im Jahre 1825
William Thorowgood herausgab und die um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch der
Leitmeritzer Medau besaß (Abb. 191a) - nur die Fette gemeinsam, sonst nichts. Der
Strichstärkewechsel ist gering, und die Kehlung der Abspaltungen nur sehr allmählich.
Während es wohl möglich ist, solche Schriften als Antiqua-Toscanienne zu bezeichnen,
wäre es zweifellos nur schwer denkbar, sie zu Antiqua-Versalien mit gespaltenen
Serifen zu erklären. So wird gleich zu Beginn die Berechtigung unserer Klassifizie¬
rung bestätigt.
Bei anderen Schriften dieser Art ist jedoch die Verwandtschaft mit der fetten klas¬
sizistischen Antiqua oder Itahka um vieles deutlicher. Das gilt z. B. schon für Thorow¬
goods Italika-Toscanienne aus dem Jahre 1825 (Abb. 191 c), wo der Kontrast der ma¬
geren und fetten Züge ebenso stark ist, wie in den geläufigen fetten Italika-Akzidenz-
schriften dieser Zeit. Dasselbe gilt für die negative Antiqua-Toscanienne (Abb. 191 b),
die im Jahre 1834 von demselben Schriftgießer herausgegeben wurde, und für viele
andere undekorierte und dekorierte Schriften dieser Periode. Etwa seit der Mitte des
19. Jahrhunderts treten häufig weniger fette Antiqua-Toscanienneschriften auf, sie
sind aber gewöhnlich auf Kosten der Strichstärke der schwachen Züge noch kontrast-
З41
7339