EGYPTIENNE
wahrscheinlich gleichzeitigen französischen lichten, einfach, aber sehr deutlich schräg
schattierten Halbskelett-Egyptienne (Abb. 180 Q,) haben wir dann im großen und
ganzen wohl alle Hauptmodifikationen der plastischen undekorierten Egyptienne er¬
schöpft, die in der europäischen Typographie im Laufe des 19. Jahrhunderts vorkamen.
Es ist interessant, daß die am reichsten dekorierte plastische Egyptienne, die je
hergestellt wurde, gleichzeitig eine der ältesten Egyptienneschriften überhaupt ist; sie
wurde bereits irgendwann um 1820 von dem berühmten Pariser Schriftgießer Gillé
geschaffen. Sie ist auch eine der wenigen frühen Schriften des 19. Jahrhunderts, die
in den Originalstempeln erhalten geblieben sind, und diesem Umstand danken wir es,
daß wir sie hier im ganzen Alphabet aus dem ursprünglichen Ensemble reproduzieren
können, das den Druckern heute von der Pariser Schriftgießerei Deberny & Peignot
gehefert wird (Abb. 181). Matrizen dieser schönen Schrift besaß in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts auch Medau in Leitmeritz, der sie in seinem Musterbuch in
einer breiten Skala bis zu großen Schriftgraden zum Druck von Plakaten anbietet.
Die dekorative und graphisch wirkungsvolle Schrift gewann erneut die Zuneigung
auch der modernen Typographie, und so begegnen wir ihr heute ziemlich häufig
in schönen französischen und englischen Akzidenzdrucken. Auch in unserem vor¬
angegangenen gemischten Musteralphabet (Abb. 180) ist die am reichsten verzierte
Variante der plastischen Egyptienne die älteste Schrift, nämlich jene Egyptienne, die
durch unseren Buchstaben M vertreten wird und um 1838 von der englischen Firma
Wood & Sharwood hergestellt wurde. Die breiten, hchten, schwarz umstochenen und
von einem schweren Schatten betonten Flächen dieser Schrift sind mit einem frei ge¬
zeichneten positiven Dekor verziert, was einen einzigartigen Fall dieser Art darstellt.
Viel nüchterner ist das U einer französischen engen plastischen Egyptienne aus dem
19. Jahrhundert dekoriert. Auf sehr interessante Weise und doch einfach ist die mas¬
sive Egyptienne in Medaus Musterbuch verziert, die zur Hälfte ficht ist und dunkle
Schatten zeigt, und zur Hälfte voll gefärbt ist und Umrisse der lichten Dicke des
plastischen Schriftbildes aufweist. In der Textzeile wirkt diese Schrift in der Tat außer¬
gewöhnlich dekorativ, viel dekorativer als der einzelne Buchstabe V, der sie in unserem
Alphabet vertritt. Vom Ausgang des 19. Jahrhunderts stammt sodann eine deutsche
Schrift, aus der wir das Z ausgewählt haben, dessen Dekor bereits die allgemeine
Ratlosigkeit bei der Suche nach neuen ornamentalen Variationen verrät.
Den Rest der Schriften unseres Probenalphabets bilden plastische, verschieden¬
artig ornamentierte Egyptienneschriften, bei denen die Grundform entweder zersetzt
oder mit fremden Elementen nur angedeutet ist. So wurde etwa die schmale fette,
horizontal schraffierte und schwarz schattierte Egyptienne Vincent Figgins' aus dem
Jahre 1845 (Abb. 180 R) in ihrer Grundform fühlbar durch die schräge Beschneidung
der Serifen verändert, deren ursprüngliche Rechtecke doch vor allem für die Egyp¬
tienne typisch sind. Die sehr späte Egyptienne, die der Schriftgießer James Marr in
Edinburgh schon um das Jahr 1877 herausgab, wurde zwar nicht durch eine ähnliche
Beschneidung der Grundform verändert, dafür aber durch Hinzufügung in Form
dornartiger Fortsätze oben und unten (Abb. 180 L). Die Buchstaben N und X unseres
Alphabets stellen sodann Proben von Imitationsschriften aus der Klasse der Egyp¬
tienne dar. Eine in Medaus Musterbuch veröffentlichte Schrift aus der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts - hier durch das N vertreten - täuscht die Zusammensetzung aus
massiven Brettern und horizontalen Sockeln und Auflagen vor, im übrigen ist sie aber
ЗЗІ