FETTE ANTIQUA
lichen Ergänzung der üblichen Buchschriftserien, was man aber leider nicht mit allzu
großer Befriedigung quittieren kann. Wenn bis zu dieser Zeit die Autoren und Drucker
bei jeder erforderlichen stärkeren Betonung einer auszuzeichnenden Textstelle ganz
gut mit der Italika auskamen, wurde es im 19. Jahrhundert zur Gewohnheit, solche
Texte dort mit fetten Lettern auszuzeichnen, wo die Italika für diese Aufgabe zu
diskret schien. Während mit der Verwendung der fetteren Schrift tatsächlich eine
größere Emphase des betonten Textes erreicht wurde, litt andererseits - und zwar sehr
schmerzlich - die graphische Reinheit des Satzbildes, das so durch befremdende
schwarze Flecken entwertet wurde. Diesen Unfug, den die Drucker früherer Zeiten
nie zugelassen hätten und dem wir leider in den Büchern immer noch sehr häufig
begegnen, hatte die Erzeugung von Schriftserien hervorgerufen, bei denen die übliche
Antiqua auf gleichen Kegeln von ihrer fetten Variante begleitet war, manchmal mit
der Italika, manchmal ohne sie. Solche Schriftfamilien wurden große Mode, und mit
fetten Varianten ergänzte man nicht nur die klassizistischen Antiquaschriften, sondern
später auch neue Repliken der Schriften des Renaissancetypus. Schließlich genügte
nicht einmal mehr eine fette Variante, vielmehr wurden im Lauf der Zeit noch weitere
in verschiedenen Fette-Abstufungen erzeugt, so daß nach diesen Stufen Schriften
gleichen Schriftgrades und Schnittes als gewöhnlich mager, halbfett, dreiviertelfett,
fett und extrafett unterschieden werden müssen. Während das für den Akzidenzsatz
von unbestrittenem Vorteil war, verleitete es in der Buchtypographie häufig zum Mi߬
brauch der großen graphischen Möglichkeiten, die sich im Buch schließlich immer als
Hemmnisse für die eigentliche Bestimmung erweisen.
Die verschiedenen Modifikationen der Grundform der fetten Antiqua und Italika
waren also in der europäischen Typographie des 19. Jahrhunderts häufig und an sich
erfolgreich, aber der Erfindergeist der Schriftgießer machte bei diesen Varianten nicht
halt. Die erhöhte Nachfrage nach neuen Schriften ebenso wie die scharfe Konkurrenz
auf dem Schriftgußmarkt selbst nötigte die Erzeuger zum Wettbewerb durch neue
Schriftformen. Darunter gewann auch die ornamentale Akzidenz-Antiqua und -Italika eine
hervorragende Stellung, obwohl ihre Grundform keine Gelegenheit zu so zahlreichen
Varianten bot, wie dies bei anderen Akzidenzschriften dieser Epoche der Fall war.
Verhältnismäßig schwach vertreten war die ornamentale flächige Akzidenz-Antiqua und
-Italika, und darum ist der Gesamtüberblick ihrer Varianten nicht sehr umfangreich.
An erster Stelle muß man die negative Akzidenz-Antiqua erwähnen, eine Form, bei
der die dekorative Wirkung auf allereinfachste Weise erreicht wurde, wie zum Beispiel
bei den fetten negativen Antiqua-Versahen, die die Firma Bower & Bacon in Shef¬
field bereits im Jahre 1830 herausgab. Ebensolche negative Schriften bot vor 1850
der Leitmeritzer Medau an, und ähnlich auch andere Schriftgießer im damaligen
Europa. Noch zahlreicher kommen in Medaus Musterbuch und in den Musterver¬
zeichnissen englischer, französischer und deutscher Schriftgießer fette negative oder
positive Antiqua-Versalien vor, die mit verschiedenartig behandeltem Hintergrund un¬
terlegt sind, während ihre Grundzeichnung sonst von weiteren dekorativen Eingriffen
unberührt blieb. Aber schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts treten gar nicht
so selten Fälle auf, bei denen diese Grundkonstruktion der fetten Antiqua durch Orna¬
mentierung sehr erheblich beeinträchtigt wurde. Ein solches Beispiel stellt jene kon¬
struktionsmäßig deformierte Italika-Majuskel dar, die im Jahre 1845 von Vincent
Figgins unter der Bezeichnung Zig-Zag herausgebracht wurde. Ihre kuriose Form
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