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156. Englische schmale fette Antiqua des ig. Jahrhunderts.
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FETTE ANTIQUA
der englischen Schriftgußfirma Stephenson Blake & Co. in Sheffield (Abb. 152) ge¬
liefert wird. In Frankreich, wo die fette Antiqua und Italika in der klassizistischen
Atmosphäre der heimischen typographischen Schriftkunst besonders günstige Ent¬
wicklungsbedingungen vorfand, entstand sehr bald, vielleicht schon um 1820, ein
schönes Ensemble beider Schriften, das mit dem Namen Les Gras Vibert bezeichnet
wurde, nach den Angaben Pierre Didots angeblich das Werk seines Stempelschneiders
Vibert. Das würde auch die charakteristische Form des g im kleinen Alphabet der
Antiqua bestätigen (Abb. 153). Unter den Antiqua-Versalien interessiert sodann die
'kalligraphische' Form des K, die ihre Analogie im Ensemble der zugehörigen Italika
hat. Dabei ist jedoch der Umstand bemerkenswert, daß dies gegenüber den englischen
fetten Italikaschriften die einzige 'kalligraphische' Form im Versalienalphabet dieser
typisch französischen, bis heute von der Pariser Schriftgießerei Deberny & Peignot
produzierten Antiqua und Italika ist. Sehr ähnliche, aber gar nicht mehr mit 'kalli¬
graphischen' Varianten einzelner Buchstaben ausgestattete Ensembles breiter fetter
Antiqua- und Italikaschriften produzierten auch die niederländischen Schriftgieße¬
reien. So bietet die Haarlemer Firma Johann Enschedé en Zonen bis heute Original¬
schriften dieser Art an.
In Böhmen war die fette Antiqua seit Beginn ihrer Entwicklung im Schriftmaterial
fast aller Drucker vorhanden, die sie sich entweder durch Kauf aus deutschen und
Wiener Schriftgießereien oder aus der Gießerei Wenzel J. Krabats in Prag besorgten,
der allerdings die Matrizen seiner Schriften im Ausland kaufte. Ein viel mannigfalti¬
geres Sortiment von Akzidenzschriften stellte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
A. Haase in Prag her, in dessen Musterbüchern auch einige Schriftarten angeboten
werden, denen wir sonst nirgends begegnen. Hieraus kann mit Recht geschlossen
werden, daß seine Produktion, was das Schneiden betrifft, wenigstens zum Teil ur¬
sprünglich war. Mit eigenen Varianten ergänzte auch ein weiterer Schriftgießer in
Böhmen, G. W. Medau in Litomerice, seine noch reichhaltigere Garnitur impor¬
tierter Akzidenzschriften. Sein Musterbuch Proben aus der Schriftschneiderei, Schrift-
& Stereotypen Gießerei von G. W. Medau in Leitmeritz ist zwar ohne Jahresangabe
erschienen, kann aber nach einigen Schriften, die er hier als Neuheit anbietet, ebenso
wie nach der gesamten typographischen Ausstattung ziemlich zuverlässig in die Jahre
knapp vor 1850 datiert werden. Deshalb sind darin fast alle für die europäische Typo¬
graphie der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts typischen Schriften und natürlich auch
eine breite fette Antiqua in einer ganzen Reihe von Schriftgraden mit besonders
schönen Beispielen enthalten (Taf. LIII). Medau führt in seinem Musterbuch auch
besonders fette und breite Antiquaschriften an, mit denen wahrscheinlich die fran¬
zösischen Schriftgießer erstmalig auf den Markt kamen. In diesen Schriften gingen die
fetten Züge noch mehr in die Breite, was auch eine unverhältnismäßige Verbreiterung
des Schriftbildes auf Kosten seiner Höhe zur Folge hatte. Daraus ergab sich, daß das
grundlegende Schriftbild eines Buchstabens mit zwei fetten Zügen, wie etwa beim M,
ein Rechteck mit mehr oder weniger breiter Basis war. In Frankreich wurden diese
schweren Buchstaben als normandes bezeichnet. Unter diesem Namen sind sie bis heute
in Abgüssen von den Originalmatrizen einerseits als ziemlich gemäßigte Varianten
der beiden Alphabete (Abb. 154), andererseits als Ensemble sehr fetter und breiter
Versahen (Abb. 155) vertreten; hierbei sind beide Schriften in das erste Drittel des
19. Jahrhunderts einzuordnen. In England wurde eine ähnliche breite fette Antiqua
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