DIE LATEINSCHRIFT DER RENAISSANCE-INSCHRIFTEN
naissance-Majuskel mit verborgenen Serifen in keilförmigen Verdickungen der schwa¬
chen Züge dar.
Eine sehr nahe Analogie der so traktierten Inschriften-Majuskel der frühen Re¬
naissance war bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine Schrift, in der auf
den Strichschluß zu nicht nur die schwachen, sondern auch die starken Züge erweitert
wurden. Es ist begreiflich, daß es sich in diesem Falle zum Beispiel bei der Verdickung
beider Enden der starken Vertikale des I nicht um die Form eines Keiles, sondern nur
um eine konkave Aushöhlung des ganzen Schaftes handeln konnte. Darum kann
auch jede derartige Renaissanceschrift als Konkavform der frühen Renaissance-Majuskel
bezeichnet werden, denn hier handelt es sich nicht mehr um eine Verdeckung der
Serifen, sondern um die graphische Nutzung einer weiteren Möglichkeit zur Bereiche¬
rung der Schriftzeichnung. Das ist freilich keine neue Form; wie wir wissen, trat sie
in den Anfängen der Entwicklung der Lateinschrift ebenfalls auf, wurde jedoch in der
ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zweifellos neu und unabhängig von den altrömi¬
schen Mustern entdeckt. Ein schönes Beispiel für diese Schrift findet man schon in der
Inschrift auf der Grabplatte des Berto di Lionardo in Santa Croce zu Florenz, datiert
1430. Beiderseitig konkav erweitert sind hier nur die Schäfte der Buchstaben I und X
und der Querbalken des T, also Züge, die mit ihren beiden Enden frei aus der Schrift¬
zeichnung auslaufen. In anderen Fällen, wie zum Beispiel bei den Buchstaben M und
N, sind nur die äußeren Schäfte einseitig erweitert. Auch diese Konkavform überlebte
die eigentliche Frühperiode der Renaissance lange, in weniger bedeutenden Inschrif¬
ten kommt sie in Italien sporadisch noch im 16. Jahrhundert vor, und in diesem wird
sie sogar nördlich der Alpen sehr häufig und für das außeritalienische Schriftschaffen
der Renaissance überhaupt sehr typisch. Unzählige Beispiele dafür könnten wir auch
in den böhmischen Ländern finden, sowohl in lateinischen als auch in tschechischen
Inschriften aus dem 16., aber auch aus dem 17. Jahrhundert. Leider müssen wir uns
mit nur zwei Beispielen begnügen, deren erstes die sehr schöne lateinische Inschrift
über dem Rathausportal in Prostèjov aus dem Jahre 1538 ist (Taf. Vllb), bemerkens¬
wert nicht nur deshalb, weil darin alle Züge konkav erweitert sind, sondern auch
durch den Umstand, daß sie nicht in die Tiefe, sondern als Relief gemeißelt ist.
Zeichnerisch sehr ähnlich, aber in die Tiefe gemeißelt ist die Schrift der tschechischen
Inschrift auf der Grabplatte der Katharina, Tochter des Krystof Zehnsky aus dem
Jahre 1587 in der Kirche zu Sankt Peter und Paul in Zlatniky bei Prag (Abb. 2). Die
konkave Aushöhlung der Züge aus verborgenen Serifen ist hier zwar nicht mehr in
allen Buchstaben des Alphabets besonders ausgeprägt, manchmal beginnen sich die
Serifen sogar schon deutlicher abzuzeichnen, aber der Übergangscharakter der Schrift¬
form ist hier sowohl aus dem Ganzen, als auch aus dem Vorhandensein der ursprüng¬
lich gotischen Form des Z genügend deutlich. Solche Überreste der Gotik und Ver¬
fallsformen in einer so fortgeschrittenen Periode sind freilich eine notwendige Folge
des verspäteten Vordringens des Renaissancestils nach Mitteleuropa, wo die Schriften
des gotischen Typus sich aus vielen Gründen eine unerschütterte Vorherrschaft
bewahrten.
Neben verschiedenen Frühformen der schattierten Renaissance-Majuskel mit ver¬
borgenen Serifen oder ohne Serifen existierten schon um die Mitte des 15. Jahrhun¬
derts auch Schriften ohne Betonung des Strichstärkewechsels, aber mit kleinen, mehr
oder weniger deutlich markierten Serifen. Eine solche wirkliche und konsequente
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