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148. Ornamentale klassizistische Antiqua-Majuskel des 18. Jahrhunderts.
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ORNAMENTALE KLASSIZISTISCHE ANTIQUA-MAJUSKEL
nerischen Behandlung nicht absprechen. Das zweite dieser kuriosen überornamentierten
Kursiv-Alphabete bildet für sich allein den Inhalt des außergewöhnlich groß dimen¬
sionierten und prächtigen bibhophilen Druckes Alfabeto Di Lettere Iniziali inventate
e delineate da Mauro Poggi, Scrittor Fiorentino, ed incise dall'Abate Lorenzo Lorenzi.
Auf jedem Blatt im großen Fohoformat dieses Prachtbandes aus dem 18. Jahrhundert
ist in Kupferstich nur ein einziger Buchstabe abgedruckt, aber jeder, wie vielleicht
auch aus unseren verkleinerten Proben zu ersehen ist, hat die Mühe gelohnt (Taf. L,
LI). Die Phantasie des Dekorateurs hat hier wohl wirklich ihre Grenzen erreicht, und
man braucht das vieheicht gar nicht zu bedauern.
In der nun folgenden Periode des Klassizismus entstand natürhch eine Abneigung
gegen die allzu üppige Dekoration, auch auf dem Gebiet der Schriftkunst, und es kam,
wie wir wissen, zu einer Reaktion in Form der extrem strengen und kühlen Schriften
des klassizistischen Typus. Aber auch in dieser für das Ornament so ungünstigen allge¬
meinen Atmosphäre entstand eine Reihe ornamentaler typographischer Schriften, die
zur Ausschmückung der Titelblätter von Büchern bestimmt waren, die eine Mäßigung
der Strenge in der graphischen Gestaltung erlaubten. Zu diesem Zweck kam man
offenbar mit den ornamentalen Varianten der Antiqua-Majuskeln aus, und eine jede
solche ORNAMENTALE ANTIQUA DES KLASSIZISTISCHEN TYPUS zeich¬
nete sich durch die prinzipiellen Merkmale der Grundzeichnung aus wie jede normale
klassizistische Buch-Antiqua. So hat zum Beispiel die klassizistische Kontur-Antiqua
dieselben flachen Serifen ohne Kehlung, ihre Modellierung ist ebenso kontrastreich
und die Schattenachse vertikal. Charakteristischer aber als die lichte Kontur-Antiqua
sind für den Hochklassizismus um das Jahr 1800 Versahen mit dekorierten fetten
Zügen, wobei allerdings die schwachen Züge und Serifen in einfacher Haarstrich¬
zeichnung bleiben. Die Dekoration dieser fetten Züge wird auf verschiedene Weise
gelöst, von einfacher Längs-, Horizontal- oder Diagonal-Schraffierung bis zu kompli¬
zierten ornamentalen Figuren, allerdings immer klassizistisch gemäßigt. Ein recht
hübsches Beispiel einer verhältnismäßig einfach dekorierten klassizistischen Antiqua
ist ein Alphabet typographischer Majuskeln aus dem 18. Jahrhundert (Abb. 148), die
sich in den Originalmatrizen bis heute im Fundus der holländischen Schriftgußfirma
Enschedé erhalten haben. Mit dem interessanten Dekor dieser Versahen konnten aber
einige Unzulänghchkeiten ihrer etwas schwerfälligen Zeichnung nicht verdeckt wer¬
den, die vor allem bei den Buchstaben M und R recht wenig geglückt ist. Sie sind
offenbar nicht das Werk eines hervorragenden Meisters, sondern eher von zweiter
Hand abgeleitet. In dieser Richtung gaben in ganz Europa wiederum die Franzosen
den Ton an, und die Musterbücher der französischen Schriftgießereien brachten auch
ganze Serien solcher Schriften, die gleich darauf den ausländischen Nachahmern als
Vorlagen dienten. Wie es scheint, hatte die Führung in diesem Produktionszweig die
Pariser Firma Gillé fils inné, die in ihrem Musterbuch von 1808 die ornamentale
Antiqua in einer großen Serie nachwies, deren Vorbereitung und Herstellung diesem
Datum sicher um mehrere Jahre vorausging.
Von den französischen Ornamentalschriften dieser Zeit und dieses Stils werden bis
heute Schriften verwendet, die Pierre Didot l'Aîné in seiner 1809 gegründeten Schrift¬
gießerei produzierte. Den modernen Druckereien hefert sie auch die holländische Firma
Enschedé, die i860 die Originalstempel erwarb. In der Garnitur dieser insgesamt
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