ORNAMENTALE BAROCKE ANTIQ.UA-MAJUSKEL
seinen balusterhaften Antiqua-Versahen schuf Fournier auch die passenden Italika-
Versalien; sie stehen uns auch heute noch in vielen Druckereien in sehr getreuen
Kopien, die 1913 von der Pariser Schriftgußfirma Deberny & Peignot in einer ganzen
Reihe von Schriftgraden herausgegeben wurden, zur Verfügung (Abb. 143b). Diese
sehr schöne Schrift ist bei all ihrer charakteristisch zarten und dekorativen Rokoko¬
form dennoch zeichnerisch sehr einfach, besonders im Vergleich mit den weiteren
Fournierschen Schriften, Antiqua-Versalien, bei denen sich die Balustersäulchen der
Schäfte und auch die Serifen in Pflanzenformen verwandeln, die nur unbestimmt die
Schriftzeichnung andeuten (Abb. 142b). In diesen lettres fleuragées werden vorläufig
wenigstens die schwachen Züge in der ursprünglich einfachen Linienführung belassen,
aber auch sie werden bei einer anderen Variante (Abb. 139e) im gesamten Bild auf
diese Weise konsequent ornamentiert.
Fournier lieferte seine lettres ornées und fleuragées französischen und fremden
Druckern, und gerade diese Schriften verliehen dem europäischen Buchdruck seit der
Mitte des 18. Jahrhunderts Rokokocharakter, denn als Brotschrift dienten zu dieser
Zeit größtenteils noch die alten Garamond-Antiquaschriften des Renaissancetypus.
Zum Rokokocharakter des europäischen Buchdrucks dieser Zeit trugen in nicht ge¬
ringem Maße auch die barocken Arabesken und Mauresken bei, Typenornamente, aus
denen man reiche dekorative Rahmen und Vignetten zusammensetzen konnte. Auch
diese Typenornamente stellte Fournier als einer der ersten her und heferte sie den
Druckern; wir begegnen ihnen oft gemeinsam mit seinen ornamentalen Schriften in
den Titelblättern vieler Bücher jener Zeit. Fourniers Erfolg war in dieser Richtung
tatsächlich durchschlagend, und sein Widerhall läßt sich leicht an der Zahl der Ko¬
pien und Varianten seiner Schriften messen, die noch bis zum Ende des 18. Jahrhun¬
derts von Nicolas Pierre Gando, Delacolonge und anderen französischen und aus¬
ländischen Schriftgießern den Druckern angeboten wurden. So finden wir zum Beispiel
im Musterbuch der Schriftgießerei Perrenot et fils in Avignon aus dem Jahre 1784
die buchstäbhch gleichen ornamentalen Schriften, die wir gerade bei Pierre Simon
Fournier bewunderten. Vier Schriften Fourniers erkennen wir auch auf einer Seite
des Musterbuches Fregi e Maiuscole, das 1771 Giambattista Bodoni in Parma heraus¬
gab (Abb. 140), und auch die übrigen dieser Schriften Bodonis sind sehr enge Ana¬
logien derselben Muster. Weniger abhängig vom Beispiel der Fournierschen lettres
ornées war sicher Jacques François Rosart, der neben anderen Ornamentalschriften
in der Zeit um 1768 für die Firma Enschedé in Haarlem auch einige Alphabete von
lettres fleuragées schuf, die mit Ranken, Knospen und Blättchen bewachsene baluster¬
artige Schäfte und andere fette Züge aufweisen (Abb. 141) und zu den schönsten
Proben der Schriftkunst des Rokokos gehören.
Im barocken Buchdruck beschränkte sich, wie hieraus ersichtlich, das Dekorieren
und Ornamentieren der Antiqua und Itahka nur auf das Alphabet ihrer Versalien.
In den kalhgraphischen Musterbüchern wurden aber auch ihre kleinen Alphabete
bearbeitet, auf die neben anderen Methoden der Verzierung häufig auch das orna¬
mentale Prinzip der Serifenspaltung angewandt wurde. Ein schönes Beispiel dieses
Vorgehens sind die drei Italikaschriften aus dem hier bereits zitierten zweiten Teil
der Sammlung Michael Baurenfeinds von 1735 (Abb. 144), deren dritte, einfachste,
in der ursprünglichen, intakten Form mit der Kontur der mit horizontalen Strichen
ausgefüllten starken Züge gezeichnet wurde. Bemerkenswert ist hier aber die Ge-
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