DIE BAROCKEN ORNAMENTALSCHRIFTEN
Behandlung der Schriftkonstruktion, wobei die starken Züge im Geist des Barockstils
plastisch modelliert und mit größerem oder kleinerem Schwung der ornamentalen
Phantasie verziert sind.
Wenn wir zunächst bei den flach behandelten ornamentierten Schriften bleiben,
können wir in der Reihenfolge unserer Übersicht schheßhch mit Vergnügen eine
Gruppe reizvoller typographischer Rokokoschriften feststellen, die der berühmte Pierre
Simon Fournier als Zugabe zu seinen schattierten Antiqua- und Italikaschriften schuf
und im Jahre 1764 in seinem Manuel veröffentlichte. Diese seine weiteren lettres
ornées sind bereits durchgängig ein Ergebnis der individuellen und stilcharakteristi¬
schen Anwendung des Prinzips der Serifenspaltung und in einigen Fällen auch der
Schaftspaltung. Und gerade nach der Gestalt dieser Schäfte können wir unter Four-
niers ornamentierten Schriften zwei Hauptformen unterscheiden, von denen man an
erster Stelle jene Schriften anführen muß, bei denen die Grundzeichnung immer noch
erhalten ist, zumindest in den Linien oder Umrissen der dünnen und der fetten Züge.
Von dieser Art sind die Antiqua-Versalien, deren lichte und mäßig schattierte, aber
sehr fette Schäfte mit einfachem Dekor ausgefüllt sind, also bis hierher keine die ge¬
wohnten Grenzen sprengende Behandlung aufweisen (Abb. 142a). Durch die Form
der Serifen jedoch, die den angeschnittenen Schäften entspringen und sich horizontal
zu rankenförmigen Gebilden entfalten, erweisen sie sich bereits als eine Schrift von
neuem, ausgesprochen rokokohaftem Typus. In einer anderen Variante dieser Ma¬
juskel betont Fournier ihren Rokokocharakter außerdem durch einen Pünktchen-
Dekor an den Seiten der schwachen und den Konturen der fetten Züge in der Hälfte
der Majuskelhöhe, ohne aber anderweitig in die Struktur des Schriftbildes einzugreifen
(Abb. 139a). Um vieles weiter ging Fournier auf dem Weg zur völligen Ornamentie¬
rung der Schriftzeichnung in den Majuskeln der lichten Italika, in deren Alphabet
die meisten starken Züge völlig gespalten sind und die isolierten parallelen Reste der
Konturen keine Verbindung zum Kopf und Fuß des Buchstabens haben (Abb. 143a).
Doch auch hier entfalten sich die gespaltenen Serifen wie im vorangegangenen Beispiel
zu Horizontalen der Grundlinie und der Majuskelhöhe. Bei den ähnhch behandelten
großen, doppelt schattierten und besonders fetten Versalien (Abb. 139b), in denen die
Entfernung der abgespalteten Konturlinien der fetten Züge sich schon über Gebühr
vergrößert, füllt Fournier den so entstandenen Zwischenraum mit einem sehr reichen
Ornament aus und schmückt die schwachen Züge in gleicher Weise.
In seinen weiteren ornamentierten Schriften ging Fournier noch weiter und löste
den Zusammenhang der Zeichnung der lichten und der schattierten starken Züge der
Antiqua-Majuskel in ihrer optischen Mitte durch schattierte Ovale auf (Abb. 139c).
So wird die Schriftzeichnung völhg zum Ornament, wenn die Serifenspaltung hier
auch um vieles einfacher ausgeführt ist. Die starken Schäfte und die übrigen starken
Züge erhalten die Gestalt barocker Baluster, und diese Form wird dann völhg von
Fourniers Antiqua-Versalien übernommen (Abb. i3gd). Eine fast identische Schrift
besaß auch die Akademische Druckerei in Prag vor 176g, allerdings mit einigen in¬
teressanten Abweichungen in der Zeichnung (Abb. 137c). Sie hatte insgesamt engere
Proportionen, und ihre balusterartigen Schäfte verengten sich nicht nach den Enden
zu, sondern blieben parallel und im Kopf und Fuß unverbunden. Auch die gespal¬
tenen Serifen dieser starken Schäfte blieben gerade, während die gespaltenen Serifen
der schwachen Züge ähnhch wie bei Fourniers Schrift rankenartig gebogen sind. Zu
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13g. P. S. Fournier, 1764.
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141. Lettres fleuragées. J. F. Rosart, um 1768.