DIE LATEINSCHRIFT DER RENAISSANCE-INSCHRIFTEN
Jahren 1425-1427 schufen (Taf. IIb). Wenn wir diese frühe Inschrift vom graphischen
Standpunkt her beurteilen, hat sie zwar viele Unzulänghchkeiten, und als Ganzes
fehlt ihr noch sehr viel, um mit ihrer Komposition, ihrer Ordnung und Ausführung
die hohe Meisterschaft des bildhauerischen Niveaus dieses Werkes zu erreichen. In
dem schönen freien Rhythmus der bildhauerischen Komposition wirkt hier die ein¬
gegliederte Inschrift beinahe störend, die Textzeilen sind unangemessen hoch und die
einzelnen Buchstaben darin zu sehr aneinandergedrängt. Der größte Teil der Buch¬
staben hat außerdem zu enge Proportionen. Neben dem stark gespreizten A ist das О
dagegen zu einer Ellipse verengt, sehr schmal ist auch die Zeichnung der Buchstaben
G und D. Der Winkel der inneren Züge des M reicht kaum in das obere Drittel der
Majuskelhöhe und seine Schäfte stehen senkrecht. Bei diesem Buchstaben ist außerdem
ebenso wie beim N bisher keine richtige Verteilung des Schattens festzustellen, die
senkrechten Schäfte sind hier alle stark und die schrägen Züge schwach. Das sind
freilich Unzulänghchkeiten und Überbleibsel, denen wir schon in den vorangegan¬
genen Gotik-Renaissance-Übergangsschriften begegneten, was aber in diesem Falle
für uns nicht so schwerwiegend ist. Wichtig ist hier aber die Tatsache, daß die Zeich¬
nung der Buchstaben sehr deutlich schattiert ist und daß andererseits keine Serifen
verwendet werden. Die einzige Ausnahme stellen wieder die Buchstaben С und S mit
einer leichten Verstärkung der frei auslaufenden Bögen dar. Besondere Aufmerksam¬
keit verdient noch die keilförmige Verdickung der schwachen Schrägzüge der Buch¬
staben A und V, eine Möglichkeit graphischer Behandlung der Schriftkonstruktion,
die bereits voll und folgerichtig in anderen florentinischen Inschriften der ersten Hälfte
des 15. Jahrhunderts genutzt wurde.
Ähnlich wie in den ältesten Inschriften aus der Zeit der römischen Repubhk zeigen
sich auch in den Inschriften der Frührenaissance verschiedene Übergangsformen der
Inschriften-Majuskel, wo alle frei auslaufenden schwachen Züge durch einen querste¬
henden Einhieb des Meißels in der Breite der starken Züge abgeschlossen werden; die
so entstandenen Serifen sind jedoch zusätzlich von einer angemessenen konkaven oder
keilförmigen Verstärkung des betroffenen Zuges verdeckt. Somit ist diese Renaissance¬
form mit verborgenen Serifen und Strichstärkewechsel eine sehr nahe Analogie der Monu¬
mentalschriften aus der ältesten Entwicklungsstufe der Lateinschrift überhaupt, ob¬
wohl sie ganz bestimmt nicht von diesen uralten Beispielen, die außerdem zu Beginn
des 15. Jahrhunderts noch gar nicht bekannt sein konnten, inspiriert war. Das Ver¬
bergen der Serifen in keilförmig erweiterten schwachen Zügen war offenbar eine flo-
rentinische Besonderheit, denn so häufig begegnen wir ihr sonst nirgends. Ein sehr
frühes Beispiel einer solchen Schrift haben wir bereits auf dem Giebel der Kirche des
heiligen Franziskus in Prato aus der Zeit um 1400. Gleich geartet ist die Schrift der
Inschriften in der florentinischen Kirche Santa Croce auf der Grabplatte der Famihe
Bancozzi-Catenacci, datiert 1424. In demselben Jahre verwendete auch Lorenzo Ghi-
berti an den Türen des florentinischen Baptisteriums eine solche Schrift, und es ist
möglich, daß gerade er der Wegbereiter eines so orientierten florentinischen Schrift¬
schaffens war. Dafür würden auch andere seiner ebenso ausgeführten Inschriften aus
jüngerer Zeit sprechen, desgleichen eine Passage in seiner Autobiographie, aus der
sein lebhaftes Interesse an Dingen der Schrift deutlich wird. Besonders erfolgreich
wendete dann Luca della Robbia diese schattierte Form ohne Serifen in den Inschrif¬
ten auf seinen Skulpturen an. Seine berühmte Cantoria, die Sängertribüne in der
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