DIE BAROCKE UND KLASSIZISTISCHE KURSIV
das kleine und eine andere für das große Alphabet. Andererseits kann man in der
Zeichnung dieses großen Alphabets keine wesenthchen Abweichungen von den an¬
deren Barockschriften feststellen, die wir bisher kennengelernt haben. Um vieles mehr
unterscheidet sich in dieser Beziehung das kleine Alphabet, bei dem wir bisher den
gotischen Reminiszenzen nicht nur in der Form der Buchstaben d und r begegneten,
sondern auch in Varianten des / und Schluß-J. Diese altertümlichen und stilfremden
Formen bleiben hartnäckig auch im 18. Jahrhundert erhalten; sie sind zum Beispiel
im Alphabet der bâtarde itahenne in Lesgrets Handbuch von 1736 enthalten, aber in
einem anderen solchen Handbuch, das der französische Kalligraph Maingueneau
ebenfalls am Anfang des 18. Jahrhunderts herausgab, blieb in der bâtarde itahenne
als einzige Spur dieser Tradition die fakultative Variante des d übrig.
Die so stabilisierte bâtarde itahenne wurde auch außerhalb Frankreichs von allen
Kalligraphen gepflegt, die sich der Vielseitigkeit ihres Könnens und ihres Schriftre¬
pertoires rühmen wollten. Von dieser allgemeinen Tendenz waren die deutschen Kal¬
ligraphen nicht ausgenommen, von denen zum Beispiel Michael Baurenfeind in seiner
Sammlung Der zierlichen Schreib-Kunst Vollkommene Wiederherstellung etc. An¬
derer Teil aus dem Jahre 1735 'la nouvelle Manière de former des Lettres Francoises
et Itahennes Bâtardes' vorführt, welche Manier aber auf einem bloßen Vorzeichnen
des Liniensystems und der Achsenneigung des Schriftbildes beruht, das im übrigen
dem standardisierten Duktus entspricht. Sehr hübsch und von gotischen Resten schon
fast frei ist die bâtarde itahenne, die Johann Braun unter der Bezeichnung écriture posée
in dem Handbuch Vorweisung verschiedener Teutsch- u. Französischer Schriften etc.
- herausgegeben in Mühlhausen im Jahre 1774 - anführt und die hier wenigstens als
weiteres Zeugnis der unstabilen barocken Schriftterminologie angeführt sei, auf die
man sich nun wirklich nicht sehr verlassen kann.
Die bâtarde itahenne ist auch dadurch bedeutsam, daß sie nach den zwei vorausge¬
gangenen Versuchen Ludovico Vicentinos und Sébastien Cramois' eine weitere Schreib¬
schrift war, die in genauer Kopie im Buchdruck verwendet wurde. Vicentinos typo¬
graphische cancellaresca romana wurde allerdings zum Ausgangspunkt der Entwicklung
der Itahka und bald darauf von der Aufgabe entbunden, im Buchdruck eine geläufige
Handschrift nachzuahmen. Cramois' imitierte lettera cancellaresca von 1620 war
schon ein Anachronismus in einem Jahrhundert, als sich in Frankreich neue Ent¬
wicklungsformen der Latein-Schreibschrift einzuleben begannen, und deshalb war sie
mehr eine historische Kuriosität. Eine unverhältnismäßig größere Bedeutung hatte
in dieser Hinsicht die Druckertätigkeit, die der Pariser Kalligraph Pierre Moreau um
das Jahr 1632 mit einem Schriftmaterial einleitete, das ausschließlich aus Druckrepli¬
ken zeitgenössischer Schreibschriften eigenen Schnittes bestand. Moreau war vorher
Schreiber des Finanzministeriums, was er im Titelblatt seines eigenhändig in Kupfer
gestochenen Schreibbüchleins Les Vrays caractères de l'escriture financière selon le
naturel de la plume, escritz et gravez par P. Moreau, clerc aux finance, herausgegeben
1626 in Paris, nicht zu erwähnen vergaß. Als Drucker trat er erstmalig 1632 mit dem
Gebetbuch Les Saintes Prières de l'âme Chrestienne Escrites et gravées après le na¬
turel de La plume par P. Moreau, Mr. Escrivain Juré an die Öffentlichkeit. Vom ty¬
pographischen Gesichtspunkt aus wäre dieser in Kupferstich ausgeführte Druck ohne
Interesse, wenn er nicht den Prototyp der Drucklettern enthielte, die Moreau für seine
weiteren Publikationen schnitt. Seine 'nouveaux caractères', wie Moreau seine Druck-
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122. Bâtarde italienne. Lesgret, 1694.
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