ANTIQUA UND ITALIKA DES KLASSIZISTISCHEN TYPUS
Entwicklung der Druckschriften in England die einheimische Baskervillesche Tradi¬
tion gewichtigen Einfluß haben würde, kam dort der schriftkünstlerische Klassizismus
in Wirklichkeit aus Frankreich, da eine direkte Fortsetzung der von Baskerville aus¬
gehenden Entwicklung in England völlig unterblieb. Dem Druck der französischen
Mode, die um das Jahr 1800 auch vom englischen Buchdruck Besitz ergriff, vermochten
die direkten oder indirekten Schüler Baskervilles nicht standzuhalten. So war William
Martin genötigt, seine Antiqua durch kontrastreichere Modellierung, den Versalien
entsprechende Ziffern und die Zeichnung einiger Buchstaben dem klassizistischen Stil
anzugleichen, obwohl er die eingekehlten flachen Serifen nicht aufgab und auch die
vertikale Schattenachse nicht ganz konsequent anwandte. Ebenso war Richard Austin,
der im Jahre 1798 für schottische Schriftgießereien arbeitete, genötigt, einige klassi¬
zistische Schriften zu schneiden, wenn er auch im übrigen seine technisch motivierte
Abneigung gegen den Schnitt übertrieben schwacher Züge nicht verheimlichte. Als
er sich später selbständig machte, produzierte er in seiner Imperial Letter Foundry
eine Antiqua, die sich nur durch die mäßige Kehlung der Serifen von den konse¬
quenten Schriften des klassizistischen Schnittes unterscheidet. Mit diesem kleinen De¬
tail wollte Austin den unangenehmen technischen Folgen vorbeugen, auf die er bereits
in dem zitierten Vorwort seines Musterbuches von 1819 hingewiesen hatte. Aber
trotzdem hielt er immer seine erste Schrift für die beste, die Schrift, die er dreißig
Jahre zuvor geschnitten hatte und die als John Bell type bekannt ist.
Klassizistische Antiquaschriften dieser Art mit kleiner Kehlung der Serifen wurden
fast zur britischen Nationalform der Schrift dieser Stilperiode. Das erhöhte in gewissem
Maße den Widerstand der Haarstriche und Serifen und die Stilreinheit, Leichtigkeit
und Dehkatesse des Schriftbildes büßte nur wenig ein. Im Geist der Austinschen Grund¬
sätze sind jene Antiquaschriften konzipiert, die von den schottischen Schriftgießern
Miller & Richard in Edinburgh und Alexander Wilson in Glasgow um 1809 hergestellt
wurden, also zu einer Zeit, als Richard Austin für beide Firmen arbeitete. Die enghsche
Fachliteratur verschweigt aber die Möglichkeit einer Austinschen Beteiligung am
Schnitt jener schottischen Schrift, die später unter dem Namen Scotch type schnell zu
einer außerordenthchen Popularität nicht nur in Britannien, sondern auch im übrigen
Europa und merkwürdigerweise auch in Frankreich gelangte, wo sie als Ecossais be¬
zeichnet wurde. Sie war im wesentlichen eine recht getreue und technisch vollendet
ausgeführte, aber viel schärfer geschnittene Version der Schrift Firmin Didots, die
alle Merkmale des hochklassizistischen Typus enthielt, mit Ausnahme der ganz ge¬
ringen Kehlung der haardünnen Serifen. Das bisher immer noch ziemlich runde und
breite Bild wurde später merklich enger, als der Bedarf des Zeitungsdruckes einen
möghchst sparsamen Satz erforderte. Darum zeichnet sich die Scotch type in Wilsons
Ausgabe von 1833 (Abb. 115) durch eng zusammengedrückte Minuskeln aus, was
nicht nur durch eine Verengung des Schriftbildes, sondern auch durch äußerste Aus¬
nutzung der verengten Fläche des Schriftkegels erreicht wurde. Die starke Kondensa¬
tion in Verbindung mit dem erhöhten Kontrast der Modellierung der schottischen
Antiqua bewirkt natürlich eine starke Überschwärzung des Satzspiegels, die besonders
im Vergleich zu der verhältnismäßig hchten, wenn auch deutlich modellierten und
stark geneigten begleitenden Itahka klassizistischen Schnittes mit antiquahaften Se¬
rifen ohne Kehlung sichtbar wird. Die Mäßigung des Schnittes der ursprünglichen
und die Sparsamkeit der zweiten Version gewannen dieser Schrift ergebene Verehrer,
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ABCDEFGHIJRL
MNOPQBSTUVW
XYZ abcdefghijk
lmnopqrstuvwx
y z 1254567890
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X YZ ab cd efg h ij к l
mnopqrstuv wxyz
1234367890
114. Deutsche klassizistische Antiqua und Italika. J. E. Walbaum, 1803-1836.