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113. Italienische klassizistische Antiqua-Majuskel. G. B. Bodoni, 1818.
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DEUTSCHE KLASSIZISTISCHE ANTIQUA UND ITALIKA
Bodonis Schriften angewiesen sind, da Abgüsse von den Originalmatrizen nicht mehr
zur Verfügung stehen.
Der Klassizismus trat in der typographischen Schriftkunst so schnell in Erscheinung,
daß bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Schriften dieses Stiltypus in ganz Europa
das völlige Übergewicht hatten. Dem Beispiel Bodonis eiferten italienische und mittel¬
europäische Drucker nach, und der unmittelbare Einfluß Didots bewirkte einen Um¬
schwung in Spanien, den Niederlanden und England. In Frankreich wurde diese
schriftkünstlerische Orientierung nach Didot von einer ganzen Reihe weiterer Schrift¬
gießer vollendet, die in ihren Musterbüchern - wie etwa L. Léger nach 1806, Gillé
fils etwa 1808, Mole Jeune 1819 u. a. - ausschließlich Schriften des klassizistischen
Typus anboten. Besondere Erwähnung verdient bei dieser Gelegenheit die schöne
Antiqua, die der Pariser Schriftgießer Nicolas Pierre Gando herstellte und die die
Firma Enschedé bis heute aus den Originalmatrizen gießt, die sie im Jahre 1837 aus
Gandos Hinterlassenschaft erwarb.
Für Deutschland hatte die Alleinvertretung der Didotschen Schriften der Berliner
Schriftgießer Johann Friederich Unger, der sich bekanntlich darin versuchte, dem
neuen Stil auch in der Fraktur Geltung zu verschaffen. Obwohl Unger sein Vorrecht
sorgsam hütete und Nachahmungen gerichtlich verfolgte, traten schon in den neun¬
ziger Jahren des 18. Jahrhunderts deutsche Plagiatoren Didots auf, und ihre Zahl
wuchs mit der Zeit. Dieser Reihe kann allerdings der Schriftschneider Justus Erich
Walbaum (1768-1839) nicht zugeordnet werden, der seit 1799 eine eigene Schrift¬
gießerei in Goslar und 1803-1836 in Weimar hatte. Seine schöne Antiqua von aus¬
gereiftem klassizistischem Typus hat einen ausgeprägten Charakter im Satz, obwohl
es schwer ist, auf den ersten Bhck die Individualität in der Zeichnung der einzelnen
Lettern zu entdecken. Bei näherem Studium kann man aber trotzdem eine bestimmte,
keineswegs unangenehme Eckigkeit des Bogens beim Versal D entdecken, eine indi¬
viduelle Art des Anknüpfens der Schenkel an den Schaft des Versals K, günstige Pro¬
portionen beim M usw. Im kleinen Alphabet sind am typischesten die verhältnismäßig
großen Maßverhältnisse des Schriftbildes mit der gut ausgewogenen Verteilung der
Farbe in den verschiedenen Schriftgraden, von denen jeder selbständig konzipiert und
nicht wie gewöhnlich die bloße mechanische Reduktion einer einheitlichen Schrift¬
zeichnung ist. Nicht weniger wertvoll ist auch die didotsche Zeichnung der begleiten¬
den Italika mit den flachen Serifen. Wegen ihrer bemerkenswerten Qualität im Satz
auch der kleineren Schriftgrade erwarb sich die Walbaumsche Schrift rasch auch in
der modernen Typographie Behebtheit, als sie im Jahre 1919 von der Berliner Schrift¬
gießerei Berthold, die die Originalstempel erworben hatte, erneut herausgegeben
wurde (Abb. 114). Der schnell wachsenden Nachfrage nach dieser schönen und all¬
seitig verwendbaren, eigenartigen klassizistischen Schrift kam im Jahre 1933 auch die
enghsche Monotype-Gesellschaft und die amerikanische Firma Intertype mit ihrer
Replik für den Maschinensatz entgegen.
Während im übrigen Europa die Schriften des klassizistischen Typus im wesentli¬
chen bei den noch verhältnismäßig breiten und runden Formen Firmin Didots stehen¬
blieben, verfolgten die britischen Schriftgießer eine Richtung, die schheßhch nur in
einer Sackgasse enden konnte. Obwohl man erwarten durfte, daß auf die weitere
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