ANTIQUA UND ITALIKA DES KLASSIZISTISCHEN TYPUS
Firmin Didots, vergrößerte aber den Kontrast der Modellierung der Schriftzeichnung.
Er war sich wahrscheinhch dessen bewußt, daß er im Falle der Antiqua und Italika
schon auf fertige Formen gestoßen war, und darum betonte er um so stärker seine
schriftkünstlerische Vielseitigkeit. Als Musterbuch seiner Schriften gab er im Jahre
1806 das polyglotte Sammelwerk Oratio Dominica - das Vaterunser in einhundert-
fünfundfünfzig Sprachen - heraus, eine Sammlung, mit der er wohl eine ähnliche
Edition der Imprimerie Impériale übertrumpfen wollte, die es nur auf einhundert¬
fünfzig Vaterunser brachte. Bodoni veröffentlichte hier alle seine Schriften, jede auf
einer besonderen Seite und von einem einfachen linearen Rahmen umgeben. Die vor¬
bereitete Herausgabe einer vollständigen Sammlung seines Werkes und seiner Er¬
fahrungen erlebte Bodoni jedoch nicht mehr, da er im Jahre 1813 starb, als sich das
Buch noch im Stadium der Druckvorbereitung befand. Den Druck vollendete seine
Witwe, die es 1818 mit Bodonis Vorwort und unter dem Titel Manuale Tipografico
herausgab. Zwei Bände dieses zweiten Manuale Bodonis enthalten insgesamt drei¬
hundertvierzig Seiten Proben der einzelnen Grade von einhundertvierundvierzig ver¬
schiedenen Latein-, griechischen, russischen und orientalischen Schriften. Neben Bo¬
donis Standard-Antiqua und -Italika finden sich hier auch Schriften, die nur mit ihrem
Gesamtaussehen klassizistisch sind, wie zum Beispiel die große Antiqua (Abb. 112),
die in der Gestaltung der Serifen und hauptsächhch in der Schattenverteilung beim e
zeichnerisch einen gewissen Kompromiß darstellt. Der im wesentlichen alten Form
des t mit dem schräg abgeschnittenen niedrigen Schaft begegnen wir jedoch auch
in den konsequent klassizistischen Antiquaschriften Bodonis. Nicht weniger bewunderns¬
wert ist die dieser Antiqua entsprechende Italika, in der Bodoni einen Klassizismus
von stark kontrastierender Zeichnung und haarfeine Serifen mit pseudokalligraphi¬
schen Strichansätzen der Schaftköpfe kurios vermengte. Graphisch am interessantesten
sind von den Schriften des Bodonischen Manuale die großen Schriftgrade einiger
seiner Varianten der Antiqua-Majuskel (Abb. 113), besonders jene, deren haarfeine
Serifen zart dekorativ behandelt sind.
Das historisch und ästhetisch konzipierte Vorwort Bodonis zu seinem Manuale aus
dem Jahre 1818 enttäuscht den Leser, der sich über die Entstehung und die formalen
Gesetzmäßigkeiten der klassizistischen Schrift oder Druckschrift überhaupt informieren
möchte, sehr. Bodoni grenzt zum Beispiel als Wesen der Schönheit einer Druckschrift
vier angeblich notwendige Eigenschaften ab: regolarità, nettezza e forbitura, buon
gusto und grazia (Regelmäßigkeit, Reinheit und Feinheit, guten Geschmack und
Anmut). Mit Regelmäßigkeit meint Bodoni die Standardisierung ähnlicher Züge bei
verschiedenen Buchstaben des Alphabets. Reinheit und Feinheit fordert er von der
technischen Seite des Schnittes und Gusses. In dem Abschnitt über den guten Ge¬
schmack spricht Bodoni von der Einfachheit, und mit Anmut hat er die Natürlichkeit
und Ungezwungenheit im Sinn, was er zum Schluß mit dem Satz erläutert, daß
'Buchstaben dann anmutig sind, wenn es scheint, daß sie nicht mit Unlust und in Eile
geschrieben sind, viel mehr mit Freude und Liebe als aus Pflicht und Zwang'. Das
alles ist aber für einen so geringen Inhalt sehr wortreich und unbestimmt und mit der
kühlen, gefühllosen Zeichnung seiner Standard-Antiqua und -Itahka nicht zu verein¬
baren, die Bodoni den europäischen Druckern jedoch kaum ausreichend liefern konnte.
Diese Schriften gehören auch heute zu den populärsten in den modernen Druckereien,
obwohl sie in dieser Beziehung alle auf mehr oder weniger annähernde Rephken von
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