ANTIQUA UND ITALIKA DES KLASSIZISTISCHEN TYPUS
Das Echo auf die Tätigkeit der Didots, die ununterbrochen bis gegen das Ende des
19. Jahrhunderts währt, hatte augenblicklich zur Folge, daß ihr Werk von allen euro¬
päischen Schriftgießern und Druckern nachgeahmt wurde, so daß den Didots ernst¬
hafte Konkurrenten entstanden. An erster Stelle jener, mit denen die Didots sehr bald
um den Titel des besten Druckers Europas kämpfen mußten, stand Giovanni Battista
Bodoni (1740-1813), berühmt durch den Ehrentitel eines Druckers der Könige und
Königs der Drucker, manchmal auch irrtümlich als Schöpfer der ersten Schriften des
hochklassizistischen Typus angesehen. Wenn die Frage der Priorität in dieser Be¬
ziehung auch zu seinen Ungunsten geklärt ist, und obwohl die Bewunderung seines
typographischen Werkes keine vorbehaltlose mehr sein kann, hat er sich in der Ge¬
schichte des Buchdrucks doch sowohl durch die Qualität, als auch vor allem durch
den außergewöhnhchen Umfang seines Lebenswerks seinen Ehrenplatz verdient. Mit
Bodoni wendet sich außerdem die Aufmerksamkeit nach langer Zeit wieder Italien zu,
das für zwei Jahrhunderte von der Beteiligung am Schriftschaffen ausgeschlossen war.
Geboren in Saluzzo, einem kleinen Städtchen bei Piémont, hing er von der frühesten
Kindheit dem Druckereiwesen an, dem Beruf seines Vaters und Onkels. Als achtzehn¬
jähriger Geselle ging er 1758 auf die Wanderschaft und fand in Rom in der Druckerei
der vatikanischen Institution Propaganda Fide Beschäftigung. Dort betätigte er sich
zunächst beim Satz von Texten in exotischen Sprachen und später auch als Schneider
bei der Reparatur und Ergänzung der Garnitur exotischer Schriften Robert Gran¬
jons. Nur eine schwere Erkrankung konnte ihn daran hindern, daß er von Rom nach
England ging, um die Typographie John Baskervilles kennenzulernen, die ihn damals
bezauberte. Statt dessen begab er sich im Jahre 1768 nach Parma, wohin er ein Jahr
zuvor berufen worden war, um sich der Einrichtung und Leitung der herzoglichen
Druckerei Stamperia Reale zu widmen. In Parma, das von da an seine zweite Heimat
wurde, leitete Bodoni seine Tätigkeit bezeichnenderweise damit ein, daß er das not¬
wendige Schriftmaterial bei Pierre Simon Fournier in Paris bestellte.
Auch als Bodoni im Jahre 1770 erreichte, daß bei der Stamperia Reale eine eigene
Schriftgießerei eingerichtet wurde, schöpfte er aus dem Beispiel dieses französischen
Meisters. Das erste Musterbuch seiner Schriften Fregi e Maiuscole aus dem Jahre 1771
beweist sogar, daß es sich hier nicht einmal um eine individuelle Bearbeitung der Vor¬
lage handelt, sondern um eine vollständige Kopie von Fourniers Schriftkunst und
Typographie. Schon im Titelblatt ist ohne Veränderung der Rahmen von Fourniers
Manuel aus dem Jahre 1766 übernommen. Auch die größeren Schriftgrade der Ver¬
sahen stammen nach Bodonis eigener Angabe aus "der Hand Fourniers, den Bodoni
auch im Schnitt der übrigen Schriften seines Musterbuches nachahmte (Abb. 104).
Der Erfolg, der ihm vom Anfang an beschieden war, erweckte in Bodoni eine wahre
Besessenheit für das Schriftschneiden. Schon nach vier Jahren hatte er einen solchen
Vorrat an Schriften, daß er damit die Epithalamia exoticis linguis reddita aus dem
Jahre 1775 setzen konnte, ein Sammelwerk orientalischer Hochzeitslieder im Original¬
wortlaut und in den Originalschriften mit unterlegter lateinischer Übersetzung. In
den folgenden Jahren druckte er eine ganze Reihe von Büchern, unter denen für sein
damaliges Schaffen die 1799 ausgedruckten Atti della solenne Coronazione fatta in
Campidoglio della insigna Poetessa Donna Maria Maddalena Morelli Fernandez
Pistoiese, tra gh Arcadi Corilla Olimpica am typischesten sind. Der Rokokocharakter
überwiegt in der Typographie Bodonis bis 1788, da er die schriftkünstlerische Aus-
220
ABCDEFGHIJ
RLMIVOPQRS
TUVWXYZ42
54567890
ABCDEFGHIJKLMNOPQRS
TUVWXYZ abcdefghijklmnop
qrstuvwxyz (к 12З4567890
ABCDEFGHIJKLMNOPQRS
TUVfVXYZ Sç abcdefghijklmno
pqrstuvwxyz
110. Französische klassizistische Antiqua und Italika. Pierre Didot l'Aîné,
vor 1818.
221