ANTIQUA UND ITALIKA DES KLASSIZISTISCHEN TYPUS
geringe Verdienste durch die Herausgabe prächtiger Drucke, die Vervollkommnung
der Druckerpresse, die Einführung von Velinpapier in Frankreich, eine weitere Ver¬
besserung von Fourniers System der typographischen Maße und keineswegs an letzter
Stelle durch die Propagierung des klassizistischen Stils im Druckschriftschaffen. Seine
reiche und fruchtbare Tätigkeit wurde schon zu seinen Lebzeiten in ganz Europa
hochgeschätzt und durch offizielle Ehrungen nicht nur seitens der Mitglieder der
herrschenden Familien zur Zeit des Königtums, sondern auch während der Republik
anerkannt, die ihn mit der Leitung der Imprimerie Nationale betraute.
Wenn es unzweifelhaft scheint, daß François Ambroise Didot als Drucker unter dem
starken Einfluß der Typographie John Baskervilles stand, wäre es doch nicht richtig
zu vermuten, daß auch die Schrift dieses englischen Meisters auf den Schnitt der Di-
dotschen Antiqua und Italika entscheidenden Einfluß gehabt hätte. Obwohl man
diesen Einfluß nicht völlig ausschließen kann, schritt François Ambroise Didot vor
allem in Richtung jener Entwicklung des französischen Schriftschaffens voran, die
Phihppe Grandjean gewiesen hatte und der Louis Luce und Pierre Simon Fournier
gefolgt waren. In der französischen Fachliteratur begegnen wir häufig der sehr be¬
stimmt geäußerten Meinung, daß Didot in dieser Richtung sehr bald zu einer kon¬
sequenten klassizistischen Antiqua und Itahka gelangte. Thibaudeau zum Beispiel da¬
tiert eine solche völhg ausgereifte und typisch Didotsche klassizistische Antiqua und
Itahka (Abb. 108) sehr kühn bereits in das Jahr 1757, also in die Zeit, da François
Ambroise Didot gerade erst das Erbe seines Vaters antrat. Um vieles kritischer kamen
dagegen enghsche Fachleute, z. B. A. F. Johnson, nach differenziertem Studium des
französischen Buchdrucks der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu der Ansicht,
daß die Entstehung der klassizistischen Antiqua und Italika Didots bei weitem nicht
so überstürzt erfolgte. Der Schnitt der ersten Schriften Didots, die nach seinen Zeich¬
nungen Pierre Louis Waflard geschnitten haben soll, von dessen Leben und Tätigkeit
sich aber keine Nachrichten erhielten, war anfangs von den Schriften der Vorgänger
Didots nicht sehr weit entfernt, und darum wäre es auch möglich, sie noch als Schriften
eines Übergangstypus anzusehen. Eine Antiqua dieser Art, die wegen ihrer mageren
Zeichnung mit dem Namen 'maigre' gekennzeichnet wurde, entstand bei Didot noch
im Jahre 1782, und aus ihr wurden zum Beispiel die drei französischen Klassiker
Corneille, Racine und Fénelon gesetzt, die F. A. Didot 1783 für den französischen
Thronfolger - den Dauphin - druckte. Aber schon 1784 kam aus der Schriftgießerei
F. A. Didots eine andere, in der Geschichte der Antiqua unvergleichlich wichtigere
Schrift, die erstmahg in der Ankündigung der vorbereiteten Ausgabe von Tassos Ge¬
rusalemme liberata Verwendung fand. Diese Antiqua entspricht in allen Punkten der
Definition der Antiqua des klassizistischen Typus und ist somit die erste dieser Klasse
überhaupt (Johnson). Mit den haarfeinen Serifen, ihrer harten Modelherung nach
der Vertikale unterscheidet sich diese meisterhaft geschnittene Antiqua von allen vor¬
ausgegangenen Schriften, und nur durch eine geringere Stärke der Schattenstriche
des verhältnismäßig breiten Schriftbildes von den späteren Didotschen Schriften des
klassizistischen Typus, mit denen sie im übrigen eine übereinstimmende Zeichnung
und dieselbe typisch klassizistische Form des Buchstabens t mit dem oben horizontal
abgeschnittenen Schaft verbindet.
Verschiedene Umstände zeugen davon, daß der Autor des Schnittes dieser Antiqua,
die zweifellos schon im Jahre 1783 geschnitten wurde, Firmin Didot (1764-1836) war,
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108. Französische klassizistische Antiqua und Italika. F. A. Didot l'Aîné,
nach 1757 (?).
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