BAROCKE ANTIQUA UND ITALIKA
Schriftschule rühmten. In dieser Beziehung wurden sie jedoch gerade durch die weitere
Produktion Wilsons bald sehr enttäuscht.
Ähnlich verhielten sich auch Joseph und Edmund Fry, die in ihrer Schriftgießerei
in Bristol bis in die achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts ebenfalls William Caslon
imitierten. Inzwischen aber bereitete ihr Schriftschneider Isaac Moore im Jahre 1768
eine Antiqua und Italika vor, die Baskerville in vielem verpflichtet sind. Denn sie haben
nicht nur dieselbe Verteilung des Gewichts und der Modellierung, sondern enthalten
auch einige Baskervillesche Details, wie z. B. in der Antiqua den scharfen Scheiteides
Versals A, den Oj-Schweif oder die offene Schlinge der Minuskel g. Im Musterbuch
dieser Schriftgießerei von 1785 wird aber bekanntgegeben, daß die Caslonsche An¬
tiqua dem Schnitt seiner Schriften als Muster diente, offenbar ein Zugeständnis an
das Vorurteil gegen Baskerville, denn bis auf kleine Ausnahmen handelt es sich hier
um eine Baskervillesche Schrift in der getreuen Rephk Isaac Moores. Die völlige Re¬
habilitierung der Baskervilleschen Schriftkunst wird dann aus zahlreichen Versionen
seines Schnittes in den Musterbüchern der Fryschen Schriftgießerei aus dem Jahre
1795 deutlich. Eine dieser Schriften wurde zur Vorlage einer modernen Rephk der
Schrift des Übergangstypus, die G. W. Jones zeichnete und die Linotype-Gesellschaft
unter der Bezeichnung Georgian herausgab.
Dem Beispiel John Baskervilles folgte auch der Bruder Robert Martins, des Faktors
der Druckerei, William Martin, der sich um 1786 in London niederheß. In enger Ver¬
bindung mit seiner Schriftgießerei stand William Bulmer, für dessen Verlag Shakes¬
peare Press die Schrift William Martins so typisch war, daß sie als Bulmer type po¬
pulär wurde. Wenn Martin in seiner Antiqua und Italika auch wissentlich die Schrift
J. Baskervilles imitierte, kann man ihm nichtsdestoweniger eine bestimmte Individua¬
lität des Schnittes nicht absprechen. Das Schriftbild ist etwas kontrastreicher, denn
die schwachen Züge sind merkhch dünner geworden. Auch Martins sicher anspre¬
chende und zweckmäßige Schrift kam in modernen Rephken heraus, die hier noch
in der Übersicht der Druck-Lateinschriften der Gegenwart Erwähnung finden werden.
Die Rehabilitierung der Baskervilleschen Schriftkunst in England am Ende des 18.
Jahrhunderts äußerte sich in wachsender Ablehnung der Schriften Wilham Casions.
So paßte sich zum Beispiel auch der Schriftgießer Joseph Jackson, der fähigste von
Casions Schülern, den Forderungen der Zeit an und brachte im Jahre 1789 eine
Antiqua heraus, in der er die Vorteile beider Stile, der veralteten Caslon und der
moderneren Baskerville, zu vereinen trachtete. Schriften der gleichen Art produzierte
auch Jacksons Lehrling Vincent Figgins, dessen 1793 in London gegründete Schrift¬
gießerei sehr schnell einen guten Ruf und eine gute Khentel gewann, mit der Druckerei
der Oxforder Universität an der Spitze. Schheßhch gab auch Wilham Caslon, der
dritte dieses Namens, der nach der Trennung von der Mutterfirma die Schriftgießerei
Jacksons kaufte, im Jahre 1798 eine Baskervillesche Antiqua des Übergangstypus
heraus. Die BaskerviUe-Schriften gewannen so schheßhch auf dem englischen Schrift¬
gußmarkt ein solches Übergewicht, daß man das letzte Viertel des 18. Jahrhunderts
als die Baskervillezeit der enghschen Typographie bezeichnen kann, wenngleich der
Baskervillesche Stil der graphischen Buchgestaltung an sich dem enghschen Buch¬
schaffen dieser Periode nicht mehr das typische Gepräge verlieh.
Weitgehend unabhängig von der Schrift des John Baskerville entstand eine Schrift
des Ubergangstypus, die - mit dem Jahre 1786 beginnend - John Bell aus seiner
210
I
ENGLISCHE BAROCKE ANTIQUA UND ITALIKA
British Letter Foundry heferte. Es soll dies eine für die Geschichte der enghschen
Schriftkunst sehr wichtige Schrift sein, und Stanley Morison zögert nicht, sie nicht nur
als die erste tatsächhch unabhängige Schrift Englands, sondern auch als die erste
enghsche Schrift des klassizistischen Typus zu bezeichnen. Der Autor des Schnittes
dieser Antiqua und Italika, Richard Austin, war jedoch weder von Baskerville noch
vom Einfluß des zeitgenössischen französischen Schriftschaffens völhg unabhängig. An
Baskerville erinnert die Antiqua Austins mit den Gesamtproportionen des Schriftbildes
und der Zeichnung einiger Lettern, wie zum Beispiel des Versals Q,. Noch stärker
Baskerville verpflichtet ist die Austinsche Itahka, deren weniger gedrängte Zeichnung
aber noch besser mit der Antiqua harmoniert. Auch diese - als John Bell type viel
bekannter als die Austinsche Schrift - wurde im Schnitt von 1788 unter dem Namen
Bell im Jahre 1932 von der englischen Monotype-Gesellschaft in moderner Rephk
herausgebracht.
Das französische und enghsche Beispiel bewirkten, daß auch in Mitteleuropa im
18. Jahrhundert verschiedene Antiqua- und Itahkaschriften des Übergangstypus ent¬
standen, gewöhnlich aber nur für Drucke in lateinischer Sprache, denn zum Druck
in den Nationalsprachen wurden bekannthch in diesem ganzen Jahrhundert Schriften
des gotischen Typus verwendet. Unter diesen Bedingungen war es allerdings nicht
leicht, den hohen Standard der französischen und englischen Muster zu erreichen,
weshalb man zum Beispiel in den barocken Antiqua- und Itahkaschriften Deutsch¬
lands, Österreichs und Böhmens leicht verschiedene zeichnerische Unzulänghchkeiten
entdecken kann, die Zeugnis davon ablegen, wie schwer sich die Schriftschneider
dieser Länder aus den alten Traditionen der Renaissance lösen konnten. Trotzdem
entstanden hier - wie aus dem Titelblatt eines Buchdruckers der Prager Druckerei
F. Mangold aus dem Jahre 1775 ersichthch (Taf. LH) - Werke von bedeutendem
typographischem Niveau, stilgerecht nicht nur durch die Komposition von Bild und
Ornament, sondern auch durch die Schrift.
Der Gruppe der Antiqua- und Itahkaschriften des Übergangstypus könnte man
noch eine lange Reihe von Schriften anschließen, die vom Ende des 18. Jahrhunderts
bis in unsere Zeit entstanden. Sie haben aber mit der Periode des Barocks oder Ro¬
kokos nichts gemeinsam, denn mit den Schriften dieser Stilformen verbindet sie manch¬
mal nur ein unbestimmtes und ungleiches Maß Übergangscharakter zwischen den
beiden hauptsächlichen Stiltypen der Buch-Druckschriften. Nur wenige Schriftgie¬
ßereien des 19. Jahrhunderts produzierten ausschließlich Schriften eines rein zeitge¬
nössischen Schnittes, denn das Geschäftsinteresse zwang sie, auch dem konservativeren
Kreis der Auftraggeber entgegenzukommen. Es würde darum zu weit führen, wollte
man eine wenn auch kurze Aufzählung der Schriften dieser Art versuchen, insbeson¬
dere weil ihre Zahl mit der immer schärferen Konkurrenz der Schriftgußindustrie
ständig zunahm. Wir werden jene, die für den weiteren Verlauf der Geschichte Be¬
deutung hatten, gelegenthch noch behandeln.
211