BAROCKE ANTIQUA UND ITALIKA
ist als auf das Glätten ist das Rezept zu ihres Mannes Drucker-Schwärze, die allen
englischen Buchdruckern unbekannt ist. Sie unterscheidet sich nicht nur sowohl durch
die Schönheit der Farbe als dadurch, daß sie ungewöhnlich geschwind trocknet und
das Glätten besser und eher verträgt als die gemeine. Sie will, da sie selbst kein Ver¬
gnügen an diesem Wesen findet und reich genug ist, ihre ganze Druckerei mit allen
Punzen, Matrizen und allem, was zur Druckerei gehört, ferner die Glättmaschine und
das Rezept zur Drucker-Schwärze für 4000 Pfund Sterhng verkaufen, da ehemals
ihrem Manne schon 5000 für alles geboten worden, von diesen 4000 Pfunden gibt sie
5 Prozent Rabatt, wenn die Barzahlung gleich geschieht, oder ein halbes Jahr Kredit
und liefert alles frei nach London. Sie hat ihr Vorhaben noch nicht durch den Druck
bekannt machen lassen, und außer ihren Verwandten und Freunden in Birmingham
weiß es überhaupt niemand. Das wäre etwas, wenn man Geld hätte. Wieviel Schriften
heßen sich nicht mit den vorhandenen Matrizen gießen und wieviel Matrizen mit den
vorhandenen Punzen schlagen. Es ist eine Affaire, entweder reich oder bankrott zu
werden. Für Deutschland ist es aber, glaube ich, kaum etwas, und ob sie mir gleich
versprochen hat, die Sache so bald noch nicht öffentlich avertieren zu lassen, so glaube
ich doch, daß es eher geschehen wird, als wir zum Entschluß kommen können, und
alsdann bleibt es gewiß entweder in England oder geht nach HoUand, wohin sie
neulich für 150 Pfund Sterhng Schriften verkauft hat.'
Lichtenbergs Brief ist, wie hieraus ersichtlich, nicht nur ein sehr interessanter Beweis
der hohen Wertschätzung der Baskervilleschen Schriften außerhalb Englands, sondern
auch ein interessantes Zeugnis für die materiellen Verhältnisse Baskervilles am Ende
seines Lebens. Sie waren offenbar bei weitem nicht so trüb, wie man aus der vorhin
zitierten Klage über die Unrentabilität seiner Tätigkeit als Drucker und Schriftgießer
schließen könnte. Der Verkauf des Baskervilleschen Nachlasses nach Deutschland
wurde allerdings nicht verwirklicht, und auch in England fand sich kein Interessent
für seine Druck- und Schriftguß-Werkstatt als Ganzes, obwohl der geforderte Preis
verhältnismäßig niedrig war. Es bheb nichts anderes übrig, als das Erbe in Teilen zu
verkaufen, und so erwarb etwas von den Stempeln, Matrizen und fertigen Lettern der
Baskervillesche Werkmeister Robert Martin und einige Drucker in Birmingham und
Umgebung. Ein gutes Geschäft gelang der Witwe Baskervilles aber mit dem Hauptteil
der Stempelkollektion, den sie im Jahre 1779 für 20 000 Pfund dem berühmten Autor
des Barbiers von Sevilla und Figaros Hochzeit, Pierre-Augustin de Beaumarchais, für
seine Druckerei in Kehl bei Straßburg verkaufte; dieser druckte damit die vorbereitete
Ausgabe von Voltaires Werken. Im Jahre 1782 gab er einen mit Baskervillescher
Schrift gedruckten Prospekt heraus und zwei Jahre später auch den ersten Band. Das
Gesamtwerk Voltaires war im Jahre 1790 ausgedruckt, während andere aus dieser
Schrift gesetzte Bücher die Druckerei in Kehl bis zum Jahre 1809 verließen. Inzwi¬
schen wurde kurz nach dem Jahre 1789 die Baskervillesche Schrift in Paris zum Kauf
angeboten, aber wiederum fand sich lange Zeit kein Interessent. Schließlich erwarb
Pierre Didot l'Aîné von Beaumarchais' Schwester das gesamte Ensemble im Umfang
von mehr als 3000 Stahlstempeln und der gleichen Zahl von Kupfermatrizen und
beglich es teils in Geld und teils in Publikationen seiner Druckerei. Nach Didots eigenen
Angaben war das für ihn nur ein Gelegenheitskauf von Kuriositäten seines Faches,
und er hatte weder die Absicht, das Baskervillesche Material in seiner schon anders
orientierten Schriftgießerei zu verwenden, noch es überhaupt für längere Zeit zu
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ENGLISCHE BAROCKE ANTIQUA UND ITALIKA
behalten. Er bemühte sich vergeblich, es für bloße 6000 Francs wieder in England
unterzubringen, ohne daß ihm dabei die Berufung auf den englischen Patriotismus
geholfen hätte. Die Baskervillesche Schrift blieb in Frankreich und wurde gelegentlich
bis vor kurzer Zeit verwendet, als eine bestimmte Zahl von Stempeln von der Druckerei
der Harvard-Universität in den USA und der Hauptteil der Kollektion von der fran¬
zösischen Schriftgußfirma Deberny & Peignot in Paris erworben wurde. Die Basker¬
villeschen Stempel übereignete dann Charles Peignot im Jahre 1935 großzügig aus
dem Besitz dieser Firma an die Universitätsdruckerei in Cambridge, so daß schließlich
die Baskervillesche Schrift doch wieder nach England gelangte; dort hatten sich bis
dahin nur die Stempel seiner nicht sehr bemerkenswerten griechischen Schrift erhalten,
die im Jahre 1758 von Baskerville für die Universitätsdruckerei in Oxford angefertigt
worden waren (Steinberg). Inzwischen aber erfreuten sich die nicht alltäglichen Quali¬
täten des Baskervilleschen Ensembles der Antiqua und Itahka schon lange einer hohen
Wertschätzung, und man erkannte - sicher mit größerem Recht als im Falle von
Casions Version der niederländischen Schrift Christoffel van Dycks - ihren rein engli¬
schen Charakter und begann mit der Herausgabe ihrer modernen Kopien, die überall
in der Welt guten Absatz fanden. Heute haben alle modernen Schriftgießereien ihre
Baskerville, und es gibt in der Welt wohl keine größere Druckerei, wo man nicht für
den Hand- oder Maschinensatz die Baskerville anträfe. Eine besonders schöne, recht
originalgetreue Replik ist jene Baskerville, die im Jahre 1923 in der Serie von 6-72
Punkt von der enghschen Monotype Co. herausgegeben wurde. Wir haben also eine
gute Gelegenheit, uns täglich auch im modernen Satz von den hohen Werten dieser
wahrhaft schönen und höchst zweckmäßigen Schrift zu überzeugen.
Die Erkenntnis des Schicksals der Hinterlassenschaft Baskervilles bekräftigte erneut
die häufig wiederholte Ansicht, daß seine Typographie und seine Schriften im Ausland
einen größeren Widerhall fanden als in England. Seine Bedeutung für die weitere
Entwicklung der Druck-Lateinschrift auf dem europäischen Kontinent ist nicht an¬
zuzweifeln, wenn es auch scheint, daß die kurze Zeit ihm nicht genug Gelegenheit
bot, seinen Einfluß durchgreifend und unmittelbar zu verwirklichen. Man darf den
Einfluß der Baskervilleschen Schriften auf die typographische Schriftkunst Englands
jedoch nicht unterschätzen. Obwohl dort die Begeisterung für die Baskerville-Schriften
materiell nicht einmal mit dem Betrag von bloßen 6000 Francs ausgedrückt werden
konnte, für die seine Originalstempel und -matrizen hätten wiederum von England
erworben werden können, erwiesen die führenden enghschen Schriftgießer Basker¬
ville nach seinem Tode alle Ehre, indem sie fleißig seine Schriftzeichnung zu kopieren
begannen, sobald er nicht mehr ihr Konkurrent war. Schon 1772 und später wieder
im Jahre 1783 brachte der bedeutende schottische Schriftgießer Alexander Wilson,
der seit der Gründung seines Unternehmens im Jahre 1742 Schriften des caslonschen
Schnitts produziert hatte, in seinem Musterbuch eine Imitation der Baskerville. In
dem Bemühen um einen Kompromiß zwischen der caslonschen Tradition und dem
Zeitgeschmack schuf er eine etwas plumpe Antiqua und Italika, deren Zeichnung
mit sehr großem Schriftbild allerdings vom kalligraphischen Glanz des Baskerville¬
schen Prototyps weit entfernt war. Nichtsdestoweniger hatte die Wilsonsche Schrift
wegen ihrer praktischen Verwendbarkeit im Buchsatz großen Erfolg auch bei den
Theoretikern der Typographie, die als großes Positivum den Wilsonschen Widerstand
gegen den - wie sie meinten - verderblichen Einfluß der zeitgenössischen französischen
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