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/о^. Römische gemischte Buchschrift, 3.-4. Jahrhundert.
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RÖMISCHE GEMISCHTE BUCHSCHRIFT
des I aus dem Wort tibi, in dem der kursive ‘linke Bauch’ des В nicht erhalten ist.
Wie sollen wir uns aber die neue Form dieses Buchstabens in der Livius-Handschrift
des 2.-3. Jahrhunderts erklären? Jean Malion zieht zu diesem Zweck die analoge
Wandlung des R der De-bellis-Schrift zu der nicht weniger ‘kursiven’ Form dieses
Buchstabens in der Livius-Schrift heran. Beide Buchstaben - das В wie das R - der
erstgenannten Handschrift haben sich im Grunde die Konstruktion der klassischen
Kapitale bewahrt und auch ihr Duktus ist der gleiche. Die Schäfte beider werden mit
dem ersten Strich gezogen, der sich beim В nach rechts in den unteren Teil des unteren
Bauches krümmt, während derselbe Strich beim R direkt unter die Fußlinie fortgesetzt
wird. Dieser Vorgang ist auch bei den ersten Zügen der beiden Buchstaben in der
zweiten Handschrift der gleiche. Der zweite Strich läßt bei beiden Buchstaben des
De-bellis-Fragments den oberen Bauch entstehen. Der dritte biegt hier beim В nach
links, um den unteren Bauch zu vollenden, während er beim R nach rechts abzweigt.
Beim R der Epitomae des Livius wird der zweite und der dritte Strich zu einer seichten
Wellenlinie verbunden, die den oberen Bauch nicht mehr abschließt. Praktisch ver¬
schwindet dieser also, und übrig bleibt eigentlich nur der nach rechts ausschreitende
Schrägfuß dieses Buchstabens. Dasselbe war beim В der Fall: die Doppelrundung
des zweiten und dritten Strichs hat sich zu einer einzigen Andeutung des unteren
Bauches verbunden, während der obere wie beim R gleichfalls verschwunden ist und
eine leere Stelle neben dem immer noch langen Schaft zurückgelassen hat. Leichter
ist die neue Form der Buchstaben D und Q,zu erklären, deren Zeichnung, wie wir
sie aus der De-bellis-Schrift kennen, nur aufgerichtet wurde. Auch die Wandlung des
H besteht nur darin, daß der Querstrich mit einer Rundung an den Rest des rechten
Schaftes anschließt. Die veränderte Zeichnung des Buchstabens M kann jedoch nicht
anders erklärt werden als durch die Schreibtechnik: hier wurde die Kante der Feder
nahezu horizontal gehalten, was eine Betonung der Vertikalen bedeutete. Die Zeich¬
nung des Buchstabens wurde dabei ‘kursiv’ zu drei senkrechten Strichen vereinfacht.
Dieselbe Betonung der Vertikalen ließ den ersten Strich des P länger werden, und mit
der Verlagerung des Schattens schloß sich der Bauch des Buchstabens. Alle diese
Veränderungen des Duktus machten die Schrift der Epitomae des Livius zu einer
solchen von anderem Typus, aber das geschah nicht infolge des Einflusses der zeit¬
genössischen Kursiv, denn in dieser waren die Formen jener Buchstaben, auf Grund
welcher sich das Alphabet dieser Handschrift von der Schrift des Kodex De bellis
Macedonicis unterscheidet, noch unverändert. In der De-bellis-Schrift hingegen ist
der erwähnte Einfluß - zum Beispiel in der Zeichnung des А - unbestreitbar.
Die Schrift der Epitomae des Livius wird schon lange als eines der frühen Doku¬
mente der Entwicklung der jüngeren lateinischen Buchschriften des Majuskel- und
Halbmajuskeltypus bezeichnet. Darum faßte man die gemischten Schriften von der
Art dieses Alphabets als archaische oder rustikale Semiunziale zusammen. Diese Namen
können in der weiteren geschichtlichen Abfolge der lateinischen Buchschriften zu
Begriffsverwirrungen führen, weshalb wir ihnen lieber ausweichen werden. Die Schrift
dieser Handschrift stand jedoch zu ihrer Zeit keineswegs als vereinzelte Ausnahme da.
In den papyrologischen Funden kommen auch andere Nachweise einer weitgehenden
Wandlung der römischen Schrift vor, die im 2.-3. Jahrhundert vor sich ging und die
weitere Entwicklung so bedeutsam beeinflußte. Diese Wandlung war von Dauer und
wir können sie daher auch durch Handschriften aus späterer Zeit dokumentieren, ob
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