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ioi. Römische gemischte Buchschrift, Ende des i. Jahrhunderts.
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RÖMISCHE GEMISCHTE BUCHSCHRIFT
102). In anderen Fällen, vor allem bei Buchhandschriften, geht der Einfluß der Kur¬
sivschriften viel weiter und bemächtigt sich der Zeichnung gewisser Buchstaben in
ihrer Substanz, obwohl der Gesamtcharakter einer formalen Schrift hier keineswegs
verändert wird. Mit Rücksicht darauf, daß viele Schriften dabei ihre ursprüngliche
Kapitalform beibehalten, kommt auf diese Weise eine sehr interessante Zusammen-
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102. Schrift einer römischen Militärmatrikel, 2. Jahrhundert.
setzung des Alphabets aus kapitalen und kursiven Elementen zustande. Aus der Kur¬
siv wird vor allem das typische Kursivprinzip hierher übertragen, die Dehnung
gewisser Komponenten der Schriftzeichnung über die Grenzen des Majuskelsystems
hinaus, so daß eine derartige RÖMISCHE GEMISCHTE BUCHSCHRIFT bereits
als eine Art Übergangstypus zur Minuskelschrift gelten kann. Deshalb wird diese
zeichnerisch gemischte Schrift - scriptura mixta (Thompson, Prou) - des 2.-4. Jahr¬
hunderts sehr oft als primitive Minuskel bezeichnet, aber ich halte diesen Terminus nicht
für sehr glücklich. Denn diese primären Minuskelschriften haben doch im Grunde
nichts primitives. Geeigneter wäre vielleicht die Bezeichnung Protominuskel, weil sie
besser zum Ausdruck brächte, daß es sich hier um den Prototyp der späteren Minus¬
kelschriften handelt. Den frühen gemischten römischen Buchschriften wird also in der
Geschichte der Lateinschrift eine ganz außerordentliche Bedeutung beigemessen. Denn
sie gelten nicht allein als Ausgangspunkt der Entwicklung zur vollendeten Buchminus¬
kelform des Frühmittelalters, sondern in letzter Zeit sogar als Prototyp der jüngeren
römischen Kursiv (Dain), die bisher im Gegenteil allgemein für die Quelle einiger
wichtiger gemischter Schriften des 4. Jahrhunderts gehalten wurde.
Zu den ältesten Beispielen einer Schrift dieses Typus gehört das Pergamentfragment
eines literarischen Kodex De bellis Macedonicis, das in Oxyrhynchos in Ägypten
gefunden und zunächst nur deshalb einer verhältnismäßig späten Zeit zugeordnet
wurde, weil andere Buchhandschriften in Kodexform aus älterer Zeit als dem 4. Jahr¬
hundert nicht bekannt waren (Tafel XXVI Ib). Wenn die Paläographie vom Ende
des 19. Jahrhunderts keine älteren Kodizes kannte als solche des 4. Jahrhunderts, war
dies jedoch nicht der Fall, weil es etwa keine solchen gegeben hätte, sondern nur, weil
sie nicht erhalten waren. Zum Beweis ihrer Existenz schon in der zweiten Hälfte des
i. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung zitiert Jean Malion den römischen Satiriker
Martial, der in wenigstens sechs Epigrammen die Vorteile dieser Buchform im Ver¬
gleich zu den Buchrollen erwähnt, woraus sich ergibt, daß der Kodex zu seiner Zeit
eine Neuheit war. Darum ist Jean Mallon der Meinung, daß der paläographisch so
bedeutsame Kodex De bellis Macedonicis dem Ausgang des 1. Jahrhunderts zuge¬
ordnet werden kann. Im Alphabet dieses kleinen Fragments (Abb. 101) finden wir
eine ganze Reihe Buchstaben von der Form der klassischen Kapitale vor, die mit einer
sehr breiten Feder in schräger Lage geschrieben sind, aber die Querabschlüsse der
Striche in Gestalt der Serifen vermissen lassen und auf diese Weise vereinfacht sind.
Durch diese fehlenden Endstriche ist natürlich auch der Duktus vereinfacht, der viel-
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