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g8. Klassische Kapitale, i. Jahrhundert v. Chr.-i. Jahrhundert n. Chr.
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KLASSISCHE KAPITALE
Details kann man auch in der Zeichnung der Buchstaben H, I, L, M, P, R, T und V
feststellen. Charakteristisch ist die schmale Zeichnung des E, von dem das F mit der
übermäßig verlängerten unteren Schaftserife oft nicht genug deutlich differenziert ist.
Eine besonders interessante Zeichnung hat das in drei Zügen geschriebene G. Der
dritte dieser Striche, eine Entsprechung des kurzen Schaftes in der Monumentalform
dieses Buchstabens, wird mit einer Wellenlinie aus dem Schriftbild hinaus verlängert.
Das О wird mit zwei oft unverbundenen Zügen ausgeführt, die jedoch in der Regel
keinen vollen Kreis umschreiben, sondern ein mehr oder minder schmales Oval. Die
Gesamtverengung der Proportionen ist übrigens charakteristisch für das ganze Al¬
phabet mit Ausnahme der sehr breiten Zeichnung des M.
Der in das eben behandelte Alphabet eingereihte Buchstabe Q, stammt nicht, wie
bereits vermerkt, aus demselben urkundlichen Quellenmaterial wie die übrigen, son¬
dern aus einem anderen Papyrus, der Fragmente einer literarischen Handschrift ent¬
hält. Es handelt sich um die weitbekannten Fragmente der Handschrift eines Gedichts,
das die Schlacht bei Actium feiert. Diese in Herculaneum gefundenen Bruchstücke
des Carmen de bello Actiaco wurden irgendwann zwischen 31 v. Chr. und 79 n. Chr.
niedergeschrieben. Die Einordnung der Schrift dieser Handschrift stieß bisher auf
beträchtliche Schwierigkeiten, weil man sie nur nach einer Nachzeichnung begutach¬
ten konnte, die John Hayter in den Jahren 1806-1809 nach dem Original ausgeführt
hatte und die seit ihrer ersten Veröffentlichung durch den Oxforder Paläographen
Scott im Jahre 1885 in nahezu allen klassischen Handbüchern der Paläographie re¬
produziert wurde. Leider entspricht Hayters Nachzeichnung beiweitem nicht dem
Original, das erst 1938 auf Grund einer Photographie publiziert wurde (Tafel XXIII b),
was allerdings nicht verhindern konnte, daß die Nachzeichnung auch weiterhin in den
autoritativsten Publikationen vorkam. Die wenig sorgfältige Zeichnung Hayters läßt
keineswegs darauf schließen, daß die Schrift des Gedichtes über die Schlacht bei Actium
nichts anderes ist als ein weiteres Beispiel der klassischen Kapitale, deren Schreibaus¬
führung nach den erwähnten Grundsätzen erfolgte (Abb. 98). Von der Kapitale der
Urkunde aus Oxyrhynchos unterscheidet sich die Schrift dieses literarischen Manu¬
skripts nur durch einige kleinere Details, breitere Proportionen der Buchstaben M und
N, die weniger fette und vielleicht auch einen geringeren Strichstärkewechsel auf¬
weisende Zeichnung, die Fortlassung mancher Serifen und Striche und vor allem des
Querbalkens des Buchstabens A. Sonst kann uns die Schrift dieser Handschrift jedoch
zur Bestätigung der Tatsache dienen, daß die klassische Kapitale zu ihrer Zeit für
außerordentliche Zwecke in Buch- wie Urkundenhandschriften verwendet wurde.
Unsere beiden Beispiele einer Verwendung der klassischen Kapitale stehen jedoch
auch in dieser Periode nicht vereinzelt da. Weitere papyrologische Entdeckungen aus
neuerer Zeit können diese Schrift durch zahlreiche Buch- und etwas weniger zahl¬
reiche Urkundenhandschriften nicht nur aus dem ersten, sondern auch aus dem zwei¬
ten und dritten Jahrhundert dokumentieren. Wir dürfen uns hier von neuem die
zeitgenössischen epigraphischen Varianten der klassischen Kapitale in Erinnerung
rufen, die wir unter der epigraphischen Bezeichnung scriptura actuaría kennenlernten
und die schon zuviel von ihrem ursprünglichen kalligraphischen Charakter eingebüßt
haben. Doch alle diese epigraphischen oder papyrologischen Beispiele werden von
einigen weithin berühmten literarischen Handschriften auf Pergament, die schon seit
der Entstehung der Paläographie im 17. Jahrhundert im Mittelpunkt des Interesses
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