RÖMISCHE INSCHRIFTENSCHRIFTEN
entweder in die Gruppe einer Grundform oder als Beispiele ornamentaler Formen
u. ä. Wenn wir also tatsächlich die römischen Inschriftenschriften wenigstens in groben
Umrissen behandelt haben, bedeutet das noch nicht, daß wir hiemit von ihnen Ab¬
schied nehmen. Wir werden ihnen in verschiedenen lateinischen Buchschriften wieder
begegnen, und die schöne scriptura monumentalis wird uns fast in der gesamten
weiteren Entwicklung der Lateinschrift nicht verlassen, wenn sie auch hier weniger
und dort mehr verändert oder auch wieder in ganz reiner Form auftreten wird.
KAPITEL III. RÖMISCHE BUCHSCHRIFTEN
WENN WIR diesem Kapitel den Titel ‘Römische Buchschriften’ voranstellen, ge¬
schieht dies im Bewußtsein, daß wir uns hier wieder — wie beim Titel des vorange¬
henden Kapitels — einer gewissen Ungenauigkeit schuldig machen. Denn so wie es
sich zuvor nicht in allen Fällen um Inschriftenschriften im eigentlichen Sinn des
Wortes handelte und dort einige der Herkunft nach handschriftliche Schriften in ihren
epigraphischen Modifikationen vertreten waren, wird auch dieses Kapitel nicht aus¬
schließlich Schriften der Buchmanuskripte enthalten. In der gesamten Entwicklung
der Lateinschrift wurden Bücher gelegentlich mit nicht ‘buchgemäßen’ Schriften
geschrieben. Vor allem kamen Schriften des täglichen Gebrauchs zur Anwendung.
Buch -Schriften wurden anderseits ebenso oft zum Schreiben von Urkunden ver¬
wendet, wenn es sich um außergewöhnliche Anlässe handelte. Daraus ergibt sich, daß
in diesem Kapitel eigentlich eben jene Schriften besprochen werden, die für außer¬
ordentliche Zwecke bestimmt waren, ob es sich nun um Urkunden oder Buchma¬
nuskripte handelte. Und da der Abschrift eines literarischen Werkes meist außer¬
ordentliche Bedeutung beigemessen wurde, kommen diese formalen, festlichen Schriften
selbstverständlich weit öfter in Buchmanuskripten als in Urkunden vor. Das gibt uns
die Berechtigung, in diesem Fall die traditionelle paläographische Klassifizierung bei¬
zubehalten, obwohl sie uns nicht immer einen genügend klaren Einblick in die gene¬
tischen Zusammenhänge gewährt. Doch sie ist sehr vorteilhaft für unsere besonderen
Zwecke, denn sie entspricht einer typologischen Übersicht der Entwicklung der hand¬
schriftlichen Lateinschrift sicher besser als eine andere, die diese Entwicklung unendlich
kompliziert erscheinen ließe.
Die Geschichte der römischen Monumentalschrift, der im Grunde einzigen wirkli¬
chen Inschriftenform der epigraphischen Lateinschrift, zeichnet sich, wie wir fest¬
gestellt haben, durch ihren kontinuierlichen Zusammenhang aus. Wir können sie
durch zahlreiche Beispiele auch aus den ältesten Entwicklungsphasen und der pri¬
mären archaischen Lateinschrift dokumentieren. Nicht so glücklich sind wir im Hin¬
blick auf die Entwicklung der nichtmonumentalen römischen, der Buch- und Ge¬
brauchsschriften, weil ihre ältesten Denkmäler nur in Gestalt sehr bescheidener
Dokumente aus der Endphase der römischen Republik und den Anfängen der Kaiser¬
zeit erhalten sind, ob es sich nun um direkte Beispiele von Schriftstücken auf Papyrus
oder um verschiedene Inschriftenversionen handschriftlicher Schriften auf epigraphi¬
schen Materialien handelt. Wir wissen also nichts genaues darüber, welcher Schrift
sich die alten Römer in Buch- und Urkundenhandschriften vor dem i. Jahrhundert
v. Chr. bedienten. Darum können wir uns nur aus einigen kursiven Formen in den
ältesten Inschriften eine annähernde Vorstellung davon machen, wie die Zusammen¬
setzung und Form der vorklassischen handschriftlichen Lateinschrift ausgesehen haben
mochte. Diese Analogien lassen es sodann mehr als wahrscheinlich erscheinen, daß
die Entwicklung der lateinischen Handschriftenschriften erst in einer Zeit in Bewegung
kam, da die Entwicklung der scriptura monumentalis zu Beginn der klassischen Periode
die höchsten Formen hervorgebracht hatte und somit eigentlich abgeschlossen war.
Wie die entsprechende Technik der Bearbeitung bei der Monumentalschrift auf
deren formale Gestaltung Einfluß nahm, so war auch die zeichnerische Entwicklung
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