дб. Römische Inschriften-Unziale, 3.-4. Jahrhundert.
SCRIPTURA ACTUARIA
die SCRIPTURA UNCIALIS, eine Schrift von völlig anderer Herkunft und Bestim¬
mung als die römische Monumentalschrift. Sie entwickelte sich schon von Anfang
an als Schrift eigener Prägung und stellt somit eine weitere Verletzung der formalen
Autonomie der einzelnen Schriftkategorien dar, ähnlich wie dies bei der Verwendung
der handschriftlichen klassischen Kapitale in der Mal- und Steinmetztechnik der Fall
war, denn es handelt sich hier abermals um die bloße Steinmetzkopie einer typischen
Buchschrift, der römischen Unziale. Wenngleich wir dieser Form in den weiteren
Kapiteln gebührende Aufmerksamkeit widmen, halten wir es dennoch für angezeigt,
ihre epigraphischen Modifikationen bereits an dieser Stelle zu erwähnen, weil sie
gewisse kuriose Details der Schriftzeichnung aufweiseh, denen wir bei ihrem hand¬
schriftlichen Prototyp nicht begegnen. So ist beispielsweise die Schrift einer bekannten
Inschrift auf einem steinernen Pfeiler im nordafrikanischen Timgad etwa aus dem
3. Jahrhundert beschaffen; allem Anschein nach handelt es sich um ein sehr frühes
Beispiel einer epigraphischen Unziale (Tafel XXII). Während wir in der ersten Zeile
dieser Inschrift eine schöne scriptura actuaría von ausgeprägter Form erkennen, sind
die übrigen Zeilen unseres Beispiels in einer auf den ersten Blick verschiedenen, uns
bisher unbekannten Schrift ausgeführt. Wie in der handschriftlichen ist auch im Al¬
phabet dieser Inschriftenunziale (Abb. 96) vor allem die vorherrschende Tendenz
charakteristisch, eckige Formen durch Rundungen zu ersetzen, obwohl eine solche
Tendenz in einer langsam gemeißelten Inschrift keineswegs durch die Forderung ge¬
rechtfertigt ist, leichter und schneller zu schreiben. Im Übrigen sieht man hier neben
Unzialelementen noch Spuren der Aktuarschrift, u. a. insbesondere in der Serifform
und der schräg geneigten Krümmung des Querbalkens des Buchstabens T. Andere
Buchstaben sind hier mit Formen vertreten, die nur in dieser Inschrift Vorkommen.
Eine groteske Kursivform zeigt beispielsweise das D mit seiner dem heutigen J nahen
Zeichnung, und wie ein spiegelverkehrtes J sieht der Buchstabe В aus. Interessant ist
auch das R, dessen Schrägfuß durch die zurückgebogene Rundung des offenen Bauches
zustande kommt. Kurios geformt ist das G, dessen Schaft sich hier zur horizontalen
Wellenlinie des verlängerten Ovals der Schriftzeichnung verwandelt hat. Der Buch¬
stabe V mit der Bedeutung v und и zeigt die runde Unzialform in Gestalt des U im
Großen Alphabet der modernen Lateinschrift. Von entscheidender Bedeutung für die
Zugehörigkeit zur Unziale ist jedoch die charakteristische Form des Buchstabens E,
der aus nur zwei Zügen besteht, der typischen Bogenlinie und dem Mittelstrich. Ein
weiterer für die Unziale bezeichnender Buchstabe, das M, ist hier nicht in seiner
Unzialform vertreten, sondern wird im Grunde aus der Aktuarschrift übernommen.
Die chatakteristische Unzialform dieses Buchstabens in Gestalt zweier Bogenlinien,
die die ursprüngliche Zeichnung auf nur zwei Züge reduzieren, kommt jedoch ebenso
wie die Unzialform des Buchstabens H an der Wende des .3. und 4. Jahrhunderts auch
in einigen anderen Inschriften gleicher Art und Herkunft vor.
Die epigraphische Unziale ist die letzte der Formen der altrömischen Inschriften¬
schrift, die wir somit völlig ausgeschöpft haben. Hier und dort begegnen wir zwar auch
noch weiteren Kategorien, wie z. B. der scriptura impressa, in denen jedoch bloß nach
anderen Gesichtspunkten Schriften zusammengefaßt sind, die wir bereits kennen¬
gelernt und nach eigenen Maßstäben eingeordnet haben. Verschiedene Varianten von
Schriften auf Prägestempeln, die in keramische und andere Erzeugnisse eingepreßt
sind, wurden hier zu Gruppen je nach der Art der Schriftzeichnung zusammengestellt,
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