ABCD
EFGHl
LMNO
PQRST
VXTH
Q4. Römische Dokumentarschrift, gemischte Form aus der Zeit des Claudius.
SCRIPTURA ACTUARIA
wenn diese Inschrift uns von unserem Gesichtspunkt aus Neues zu bieten hätte. Sie
stellt indessen nur einen weiteren Beweis für all das dar, was hier über das Schrift-
schaffen dieses Typus bereits gesagt wurde. Auch im Verlauf der weiteren Entwicklung
bleibt der stabilisierte Standard frei von größeren Schwankungen. Von der Mitte des
2. Jahrhunderts an wird die scriptura actuaría jedoch immer öfter durch kursive Ele¬
mente verunreinigt, die manchmal nur gewisse Buchstaben beeinflussen, und auch das
nicht immer konsequent. Schließlich führt dies jedoch zu einer völligen Wandlung des
Gesamtcharakters der Aktuarschrift, was den kommenden Verfall auch dieses Zweigs
der römischen Schriftkunst ankündigt.
Es kam jedoch nicht erst in so später Zeit dazu, daß in den römischen Inschriften
formal derartig unreine und daher nur schwer einzuordnende Schriften auftraten. Die
Prädominanz typischer Merkmale, die die betreffende Schrift einer unserer Katego¬
rien zuordnen, ist oft so gering, daß wir keine andere Möglichkeit sehen, als uns mit
einer weiteren Untergruppe auszuhelfen, die die anders nicht einzustufende gemischte
Form der römischen Dokumentarschrift umfaßt. Es ist ganz natürlich, daß es in älterer
Zeit vor allem die scriptura monumentalis war, deren graphische Elemente sich mit
jenen der gemalten Aktuarschrift vermischten. In dieser formalen Kompilation über¬
wog in der Regel die erste dieser beiden Schriften, aber manchmal ist auch das Gegen¬
teil der Fall. Als eine derartige Mischform muß also beispielsweise jene Schrift gelten,
die Hübner in dem hier durch zwei Zeichen der claudianischen Reform ergänzten
Alphabet als typisch für die Zeit des Claudius bezeichnet (Abb. 94). Diese Schrift ist
allerdings weder besonders formschön noch sonst irgendwie bemerkenswert, ausge¬
nommen vielleicht den außerordentlich langen Schweif des Buchstabens Ç). Von glei¬
cher Art ist ein Alphabet, das Hübner als charakteristisch für die Zeit des Septimius
Severus (193-211) bezeichnet, eine Schrift mit stumpfen Scheiteln, die mit unge¬
wöhnlich weit hinausgezogenen beiderseitigen Serifen versehen sind (Abb. 95). Mit
ihrer Grundkonstruktion kann diese Schrift zwar noch als Modifikation der römischen
Monumentalschrift gelten, aber ihr Gesamtcharakter ist bereits stark von jenem Ein¬
fluß geprägt, den die Aktuarschrift auf die scriptura monumentalis ausübte. Dieser
Einfluß macht sich nicht nur in der sozusagen handschriftlichen Disziplinlosigkeit des
Ganzen bemerkbar, sondern vor allem in der charakteristischen Zeichnung des Buch¬
stabens G, dessen Schaft sich in eine kursive Krümmung der Rundung ins Innere des
Schriftbilds verwandelt hat. Auch diese Schrift wurde in der Hauptsache zur Aus¬
führung der kleineren Textzeilen der Inschriften verwendet, und darum müssen wir
hier vielleicht keine besonderen Beispiele ihrer Anwendung aus dieser oder der Folge¬
zeit anführen. Das eingehendere Studium all dieser so zahlreichen und ähnlichen Va¬
rianten formaler Mischformen würde uns jedoch auf unwillkommene Weise vom Weg,
dem wir folgen, fortführen, und es dürfte daher genügen, wenn wir die Übersicht
derartiger Mischformen durch eine bloße Erwähnung der in Bronzetäfelchen einge¬
hämmerten Schriften der Amts- und Militärdiplome ergänzen. Die Möglichkeiten
dieser schwierigen graphischen Technik waren natürlich sehr beschränkt, weshalb als
Schrift derartiger Dokumente in älterer Zeit gewöhnlich eine mehr oder weniger
getreue Replik der reinen Grundform der scriptura monumentalis mit den unaus¬
weichlichen Deformationen der Rundformen verwendet wurde. In der Kaiserzeit
sodann machte sich in diesen Diplomen auch die scriptura actuaría mit ähnlichen
Deformationen geltend, aber das Ergebnis solchen Bemühens war in der Regel nur
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