VORWORT
DIE DEUTSCHE Ausgabe dieses Buches über unsere schöne Schrift ist eigentlich
schon seine dritte Auflage ; sie wurde nach der zweiten revidierten tschechischen Aus¬
gabe von 1962 besorgt, deren Manuskript im Dezember i960 in Druck ging. Dieses
Datum bezeichnet also ungefähr die zeitliche Begrenzung der darin enthaltenen letzten
Erkenntnisse und Theorien, an die sich die Behandlung des Stoffes anlehnt, denn aus
technischen Gründen konnten nur hier und dort nach der jüngeren Fachliteratur noch
kleinere Korrekturen vorgenommen werden. Ein Streben nach Vollkommenheit in
dieser Hinsicht und in einem Buch mit dieser Zielrichtung ist übrigens immer schon
von vornherein vergeblich. Denn die Geschichte unserer Schrift ist ja keine abge¬
schlossene Vergangenheit, kein fest umgrenzter Stoff, sie lebt nach wie vor durch das
unaufhörliche Wachstum ihres Volumens einerseits infolge neuer Entdeckungen von
Denkmälern aus ältester Zeit und anderseits durch das Schriftschaffen unserer Gegen¬
wart. Nicht weniger lebendig ist auch die Wissenschaft von der Schrift, und als end¬
gültig und unzweifelhaft abgeschlossen kann offenbar keine Epoche ihrer breit ver¬
zweigten Entwicklung gelten; in allen wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit
Problemen der Entstehung der Schrift und der Genealogie ihrer verschiedenen Gat¬
tungen und historischen oder Stilformen befassen, werden auf Teilgebieten unaufhörlich
neue und oft sensationelle Entdeckungen gemacht, und ständig tauchen neue und
wiederum neue Theorien auf, die manchmal im wahren Sinne des Wortes revolu¬
tionär ältere traditionelle Hypothesen umstoßen. Es ist somit begreiflicherweise aus¬
geschlossen, daß irgendeine Übersicht der Entwicklung unserer Schrift - so erschöp¬
fend und rezent sie auch sein möge - in ihrer Gesamtheit wie in ihren einzelnen Teil¬
abschnitten eine dauernde Gültigkeit besäße, die nicht durch das Erscheinungsdatum
oder vielmehr den Zeitpunkt der Übergabe des Manuskripts an die Druckerei ein¬
geschränkt würde. Einen gewissen Trost mag der Autor in dieser Hinsicht schließlich
in der bekannten Tatsache finden, daß auch die grundlegendsten und berühmtesten
monographischen Arbeiten auf diesem so ungeheuer ausgedehnten Gebiet, die im
übrigen zweifellos dauernde Bewunderung und Anerkennung verdienen, einem sol¬
chen Schicksal nicht entgangen sind.
Wenn ich dieses Eingeständnis möglicher Mängel der vorliegenden Ausgabe meines
Buches dieser vorausschicke, dann muß ich den anspruchsvollen Leser zugleich darauf
hinweisen, von dem Werk nicht mehr zu erwarten, als es bei seiner Konzeption zu
bieten imstande ist. Es handelt sich hier eigentlich um nichts anderes als um das Er¬
gebnis eines fast lebenslangen fleißigen Studiums, dem sich ein Liebhaber der schönen
Schrift hingab. Ein erster Impuls zur Entstehung dieses Buches war der ästhetische
Genuß, den schöne Schriftformen dem Verfasser bereiteten, denn in seinem Beruf kam
er mit solchen in Berührung; und damit hielt der Ehrgeiz Schritt, die gesamte Ent¬
wicklung, die zu diesen Formen führte, kennenzulernen, die Wurzeln ihres Zustande¬
kommens und die Genealogie ihrer gegenseitigen Verwandtschaftsbeziehungen in ihrer
Vollständigkeit und ganzen Breite des Problems aufzudecken. Es handelte sich also
zunächst um eine ausschließlich zur eigenen Freude und für den Eigengebrauch be-
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