RÖMISCHE INSCHRIFTENSCHRIFTEN
mischen Monumentalschrift sei hier ein Alphabet (Abb. 75) genannt, das aus einer
in Tunesien (Maktar) gefundenen und aus der Zeit des Probus stammenden Inschrilt
etwa aus den Jahren 276-282 (Tafel XVIII) zusammengestellt ist. Die Vorherrschaft
der Vertikalen ist hier bereits allgemein, das Bild fast aller Buchstaben bis zum Aus-
sersten verengt, die Differenzierung der Breitenverhältnisse in der Mehrzahl der Fälle
durch die Uniformität der Schriftbildbreite ersetzt. Obwohl die Form dieser Schrift
einen nicht zu leugnenden Einfluß der gleichzeitigen Schrift des gemalten Typus
verrät, einen Einfluß, den nicht nur die schmalen Proportionen, sondern auch die
Fortlassung des Querbalkens des Buchstabens A und die kuriose Form des G unter
Beweis stellen, handelt es sich hier dennoch, vor allem mit Hinblick auf die Form der
Serifen, unzweifelhaft um eine Schrift der Klasse scriptura monumentali^.
Während man der schmalen Form der Schrift dieser Inschrift beachtliche graphi¬
sche Werte nicht absprechen kann, muß ihr Gegensatz, die breite Form der römischen
Monumentalschrift, in dieser Hinsicht als weniger geglückt gelten. Wir begegnen ihr
gleichfalls hier und dort im epigraphischen Material (Tafel XIX, Abb. 76). Die Breite
des Schriftbildes ist in diesem Fall übertrieben, und diese Tendenz kommt gewöhnlich
am stärksten in der Zeichnung des Buchstabens M zum Ausdruck. Sehr breit werden
auch die Buchstaben V und N gestaltet, während das О und Q_oft zur Ellipse wird.
Bei den übrigen Buchstaben pflegt die Verbreiterung nicht so stark übertrieben zu
sein, dafür aber wird die Schriftzeichnung einschließlich der Serifen fetter. Ein an der¬
mal’wieder, vor allem in späterer Zeit, macht sich die Verstärkung insbesondere bei
den starken Strichen, nicht aber bei den Serifen geltend, die im Gegenteil sehr fein
gezeichnet werden, z. B. in einer vatikanischen Inschrift aus der Zeit nach 432 (Tafel
XX a), bei der allerdings Anzeichen einer Degeneration des klassischen römischen
Monumentalalphabets bereits mehr als deutlich sind.
Mit der schmalen und breiten Form der entwickelten römischen Monumentalschrift
haben wir deren zahlreiche formale Modifikationen immer noch nicht ganz ausge¬
schöpft. Es bleiben formale Varianten übrig, die in der Regel übersehen werden und
die dennoch graphisch sehr interessant sind. In unserer Klassifikation können sie zu
einer besonderen Untergruppe zusammengefaßt werden, die als ornamentale Form der
römischen Monumentalschrift zu bezeichnen wäre. In vielen der bisher angeführten Bei¬
spiele altrömischer Schriftkunst wurde die überaus dekorative Wirkung immer und
ausschließlich durch eine Schriftzeichnung erzielt, deren absolute Funktionalität -
sie betrifft ihre sämtlichen graphischen Elemente - über jeden Zweifel erhaben ist.
Wir haben bereits festgestellt und werden es später immer wieder bestätigt finden, daß
auch die Serifen, eine scheinbar unwichtige Ergänzung, ihre bedeutsame Funktion
haben, aber es ist interessant, daß gerade sie den Schriftkünstler zu Eingriffen ver-
anlaßten, die man nicht anders als ausgesprochen dekorativ bezeichnen kann. Wir
haben desgleichen gesehen, daß die Serifen auf verschiedene Weise abgeändert wurden.
Sie konnten verborgen, stumpf oder scharf, geradlinig beschnitten oder leicht konkav
gebogen sein. All das befand sich im Einklang mit ihrer Funktion und dem graphi¬
schen Aufbau des gesamten Schriftbildes. Als nichtfunktionell, durch keinerlei tech¬
nisches Prinzip oder Streben nach besserer Lesbarkeit begründet und somit rein de¬
korativ kann beispielsweise schon die konvexe Krümmung der Serife angesehen wer¬
den, wie wir sie bei gewissen Inschriften auf Mosaikfußböden feststellen (Ritschl, Mo
numenta, LXXXIII-C). Dieser geringfügige dekorative Eingriff in die Zeichnung
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ABCDE
FGHILM
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75. Römische Monumentalschrift, schmale Form aus der feit des Probus.