RÖMISCHE INSCHRIFTENSCHRIFTEN
stabens R mit der ungewohnten Zeichnung des unten offenen Bauches. Dieser Um¬
stand, aus dem hervorgeht, daß der Schrägfuß in beträchtlicher Entfernung vom
Schaft an der Bauchrundung ansetzt, muß der graphischen Wirkung des Schriftbildes
nicht nur nicht abträglich sein, sondern er kann im Gegenteil zum Gleichgewicht der
zeichnerischen Elemente beitragen, wie es die Gestaltung dieses Buchstabens in der
zweiten Textzeile beweist. Im übrigen verdient noch die Krümmung des Buchstabens
G, die in dem Wort Augustorum oben völlig in die Horizontale übergeht, unsere
Aufmerksamkeit. Damit ist die Allgemeintendenz, auf die wir hier gelegentlich bereits
hingewiesen haben, bis zum Äußersten geführt. Die Inschrift von Trencin kann als
Beispiel des provinzialen römischen Monumentalschriftschaffens zufriedenstellen, al¬
lerdings abgesehen von der Präzision ihrer Ausführung, deren Mängel zum größeren
Teil auf den gröberen Werkstoff zurückzuführen sind.
Für die Zeit des Septimius Severus (193-211) führt E. Hübner das Alphabet einer
standardisierten scriptura quadrata mit spitzen Scheiteln an (Abb. 72), die sich von
den vorgenannten Beispielen vielleicht nur durch die größere Gesamtbreite des Schrift¬
bildes der meisten Buchstaben und die stumpfen Dreieck-Serifen unterscheidet. Doch
auch die scriptura quadrata mit stumpfen Scheiteln wurde zu jenem Zeitpunkt ge¬
läufig und in sehr reiner Form angewandt. Inzwischen kamen an der Wende des 2. und
3. Jahrhunderts im lateinischen Alphabet zwei neue Formen auf: die Zeichen J und
U. Deren erstes ist vielleicht einer Laune der Schriftzeichner zuzuschreiben und tritt
am Ausgang des 2. Jahrhunderts manchmal am Ende eines Wortes auf, erhält aber
erst in beträchtlich späterer Zeit - im 15. Jahrhundert - seinen festen Platz im la¬
teinischen Alphabet. Die Rundform U sodann stand sowohl für den Laut и als auch
für den Laut v und wurde aus der gleichzeitigen Buchschrift ins Monumentalalphabet
übernommen. In einigen Fällen können wir sie auf römischen Inschriften von Ende
des 2. und vom Anfang des 3. Jahrhunderts feststellen. Obwohl sich zu dieser Zeit
bereits unzweifelhaft gewisse Anzeichen des nahenden Verfalls der römischen Schrift¬
kunst bemerkbar machen, kommen graphisch hochwertige oder wenigstens interes¬
sante Inschriften immer noch in genügender Anzahl vor. Einer Erwähnung wert ist
darunter z. B. die große lateranische Inschrift des Cn. Statilius Crescens aus Ostia,
die ebenfalls ungefähr aus dem 3. Jahrhundert stammt (Abb. 71). Die schöne scriptura
quadrata vor allem der ersten drei Zeilen dieser Inschrift steht den berühmten In¬
schriften aus bester Zeit kaum nach.
Mit dem Verfall des römischen Kaiserreichs im 4. Jahrhundert verfiel allmählich
auch das römische Schriftschaffen. Auch vereinzelt vorkommende bessere Inschriften
wie die des Konstantinsbogens in Rom aus dem Jahre 315 (Abb. 74) ändern nichts an
dieser Tatsache. Schließlich läßt sich in diesem Fall bei näherer Betrachtung des von
E. Hübner aus der genannten Inschrift zusammengestellten Alphabets (Abb. 73) eine
enge Verwandtschaft mit der reifen scriptura quadrata kaum noch nachweisen. Sie
besteht eigentlich nur in den einigermaßen quadratischen Proportionen des Schrift¬
bildes. Doch der charakteristische Rhythmus breiter und enger Buchstaben ist ver¬
schwunden, und von der Feinheit der Detailausführung des Schriftbildes keine Spur
mehr übrig. Die Tradition der schönen Schrift hatte in Rom jedoch so feste Wurzeln
geschlagen, daß die klassische Ordnung der scriptura quadrata im Unterbewußtsein
der römischen Steinmetze latent blieb. Sie kam wieder zum Ausdruck, als die Stein¬
metze späterer Jahrhunderte im Dienst der Päpste und der Kaiser von Byzanz mit
138
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STV
72. Römische Monumentalschrift, klassische Form aus der feit des Severus.