RÖMISCHE INSCHRIFTENSCHRIFTEN
wie dem D und dem О durchdrangen einander ihre Bäuche gegenseitig (litterae im-
plexae). Übrigens konnte jeder Buchstabe auf diese oder jene Weise mit fast jedem
anderen Buchstaben des Alphabets verbunden werden. Diese Praxis hatte bereits eine
ziemlich lange Tradition, denn die ersten Beispiele derartiger Ligaturen oder Mono¬
gramme kommen auf Münzen schon um 200 v. Chr. vor, und es nimmt daher nicht
wunder, wenn in der Blütezeit auf diese Weise geglückte und graphisch bemerkens¬
werte Lösungen zustande kamen (Abb. 50). In der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr.
tritt auch eine interessante Abkürzung des Bindewortes ET auf, die die beiden Buch¬
staben yertikal übereinander angebracht zeigt: ein E über einem T (litterae columnatae).
Von der Abkürzung CO, bei der ein kleines О in den Bogen des С zu liegen kommt
(1litterae insertae), haben wir bereits zuvor gesprochen. Um eine solche Inschrift mit
ihrer Vielzahl Kürzungen und Ligaturen zu einer Zeit, da man noch keine Wort¬
abstände kannte, überhaupt lesbar zu machen, wurden die einzelnen Worte mit
Punkten voneinander getrennt, aber nicht, wie heute üblich, auf der Fußlinie, sondern
in der Mitte der Schrifthöhe. In archaischer Zeit hatte man sich, wie wir feststellen
konnten, in einem solchen Fall zweier oder dreier übereinander liegender Punkte be¬
dient. Diese kleinen Zeichen waren zwar hier und dort rund, aber in den klassischen
Steininschriften hatten sie meist Quadrat- oder Dreieckform. In den besten Inschriften
der klassischen Epoche waren die Seiten dieser Dreiecke leicht eingedrückt und die
Scheitel abgestumpft. Aus dieser Form entwickelte sich die dekorative Form eines
Efeublatts {hederae distinguentes).
Unsere Analyse der klassischen römischen Monumentalschrift wäre nicht vollkom¬
men, wenn wir die Akzente nicht wenigstens erwähnten. Die lateinische Sprache
konnte gut ohne solche diakritische Zeichen auskommen, die für andere Sprachen
wie die französische oder die tschechische so wichtig sind. Nichtsdestoweniger kommt
in früher augustäischer Zeit ein solches Zeichen in Gestalt eines spiegelverkehrten С
vor, silicus genannt. Es wurde über gewissen Konsonanten angebracht, die man sonst
doppelt schreiben mußte. Älter war der sog. apex, mit dem lange Vokale bezeichnet
wurden. Seine älteste Erscheinungsform aus der Zeit Sullas ähnelt der arabischen Zahl
7 oder einem schrägen T. In der Kaiserzeit lebte sich jedoch die Form des heutigen
schrägen Strichs über einem Buchstaben ein, um etwa bis 250 in Gebrauch zu bleiben.
Sehr selten kommt er über dem I vor. Ein langes i wurde nach 134 v. Chr. EI ge¬
schrieben oder durch die größere Höhe des Buchstabens bezeichnet, wie es etwa vom
Jahre 80 bis 150 n. Chr. üblich war.
Die aus dieser kurzen Formanalyse der entwickelten scriptura quadrata geschöpften
Erkenntnisse können wir einer Prüfung unterziehen, indem wir uns einige hier bereits
erwähnte Beispiele aus der Zeit des Augustus und des Tiberius vor Augen führen, um
eine anschauliche Vorstellung von der formalen Großartigkeit des römischen Schrift-
und Inschriftschaffens der klassischen Epoche zu erhalten. Doch es wäre zweifellos
schade, sich auf die bloßen Anfänge dieser steilen Entwicklung zu beschränken, wes¬
halb wir ihren weiteren Phasen noch einige Aufmerksamkeit schenken wollen. Diese
Übersicht wird sich übrigens in Anbetracht der stark eigeschränkten Auswahl auch
aus dem publizierten epigraphischen Material und der äußerst geringen Möglichkeit,
ursprüngliches Material zu studieren, mit weit weniger zufrieden geben müssen, als es
dieser höchst interessante und bedeutsame Stoff verdienen würde. Darum werden wir
uns, ähnlich wie wir es für die Zeit des Tiberius taten, auch für die Zeit Galigulas
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50. Monogramme aus römischen Inschriften des 1.-3. Jahrhunderts.