ABCDE
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44. Römische Monumentalschrift, klassische Form aus der Zeit des Augustus.
SCRIPTURA MONUMENTALIS
Alphabets im wörtlichen Sinne quadratisch. Neben solchen enthält es auch kreisför¬
mige und schmale Lettern, die dieser Bezeichnung kaum entsprechen. Darum befür¬
worten andere Autoren die wahrscheinlichere Erklärung aus der Terminologie der
Steinbearbeitung, wie sie sich in den Literaturquellen erhalten hat. Der Name
SCRIPTURA QUADRATA kommt demzufolge von der Verwendung quadratischer
Steinplatten für Inschriftzwecke her. Derartige Steinblöcke wurden lapides quadrati
oder saxa quadrata genannt. Die Steinmetzen, die solche steinerne Quadrate oder Qua¬
dern bearbeiteten, wurden quadratores oder artifices quadratarii und ihr Werk opus quadra-
tarium genannt. Als interessantes Dokument sei hier ein Brief erwähnt, in dem ein
Sidonius Apollinaris seine Besorgnis darüber mitteilt, daß sein Werk, ein poetisches
Epitaph, bei ungenügender Aufmerksamkeit des Steinmetzen Fehler enthalten könnte,
wofür nicht der Quadratarius, sondern der Autor verantwortlich gemacht würde
(Sandys). Wo die Bezeichnung der klassischen Monumentalschrift auch herkommen
möge, jedenfalls gehören die quadratischen Proportionen zu ihren charakteristischen
Merkmalen, besonders in ihrer Blütezeit während der beiden ersten Jahrhunderte des
kaiserlichen Roms.
Die Technik der Ausführung einer Inschrift hatte allerdings einen höchst bedeut¬
samen und entscheidenden Einfluß auf die Gestaltung des klassischen römischen Mo¬
numentalalphabets. Bevorwir seine formale Analyse fortsetzen, wird es darum notwendig
sein, die verschiedenen Arten des Festhaltens von Schriftzeichen auf verschiedenen
epigraphischen Materialien etwas eingehender ins Auge zu fassen, als dies bisher ge¬
schehen ist. Obwohl sich die scriptura monumentalis unter den Händen professio¬
neller Steinmetze zur maximalen Exaktheit der Schriftzeichnung entwickelt hatte,
waren der Meißel und der Stein nicht das einzige Werkzeug und Material der alt¬
römischen Inschriften. Oft wurde die Schrift auch in schwarzer oder roter Farbe mit
dem Pinsel gemalt, wie erhaltene Denkmäler und schriftliche Quellen aus der Mitte
des 2. Jahrhunderts v. Chr. beweisen. Für die rote Farbe wurde schon vor 200 v. Chr.
Zinnober (minium) verwendet, z. B. bei einem Teil des Epitaphs des L. Scipio Bar-
batus. Doch die Schrift der gemalten Inschriften, die sich in großer Zahl auf den
Hausmauern in Pompeji und andernorts erhalten haben, entwickelte sich unter dem
Einfluß der Pinseltechnik auf ihre Weise zu einer Form weiter, mit der wir uns später
besonders befassen werden. Dem Schriftschaffen in Stein widmeten sich in der Kaiser¬
zeit spezialisierte Fachleute, die ihre Kunst auch in Reklameinschriften empfahlen.
Ein erhaltener Werbetext dieser Art befindet sich im Museum von Palermo. Der
Steinmetz (lapidarius, quadratarius oder marmorarius) war selbst wahrscheinlich nur selten
der Schöpfer der Schriftzeichnung oder der Komposition der Inschrift. An der Ent¬
stehung und graphischen Gestaltung jeder besseren Monumentalinschrift beteiligten
sich nach der Feststellung Jean Mallons in der Regel drei Personen. Zunächst na¬
türlich der Textautor, dessen vermutlich immer in geläufiger Kursiv niedergeschrie¬
bene Handschrift einem Schriftfachmann, dem ordinator, zur graphischen Bearbeitung
übergeben wurde. Dieser entwarf die Komposition der Inschrift für die zur Verfügung
stehende Fläche, um dann mit Kreide, Kohle oder einem scharfen Metallstift die ein¬
zelnen Buchstaben vorzuzeichnen. Dem dritten der Beteiligten — dem Steinmetzen —
fiel dann nur die genaueste Ausführung der vorgezeichneten Inschrift im steinernen
Werkstoff zu. Zum ersten Mal in der Geschichte der Lateinschrift haben wir es hier
mit einem graphischen Künstler zu tun, der zwischen dem Manuskript des Autors
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