RÖMISCHE INSCHRIFTENSCHRIFTEN
Schöpfer der römischen Inschriften vor der Mitte des i. Jahrhunderts v. Chr. diese
neue Möglichkeit einer graphischen Gestaltung der Schriftzeichnung noch keineswegs
konsequent genutzt zu haben, obwohl sie manchmal nicht weit davon entfernt waren,
wie z. B. in der schön ausgeführten Inschrift zum Gedächtnis des L. Mummius in
Parma, die Ritschl in das Jahr 146 v. Chr. datiert (Tafel XII b). Wenn die Schrift der
ersten Zeile dieser Inschrift auch nicht mehr ist als eine Übergangsform mit entwickel¬
ten Serifen, kennzeichnet die Art der Modellierung der Rundstriche der Buchstaben
in der zweiten Zeile bereits die reife Form der römischen Kaiserzeit. Ausnahmen dieser
Art waren jedoch vorläufig noch nicht imstande, den Charakter des römischen Schrift¬
schaffens zu verändern. Bevor es sich diesen Standard erarbeitete, sollte fast das ganze
letzte Jahrhundert der römischen Republik verstreichen. Auch die Inschrift zum Ge¬
dächtnis des A. Pompeius aus Interamnum in Umbrien aus der Zeit um die Mitte des
I. Jahrhunderts v. Chr. (Tafel XIIa) läßt in dieser Hinsicht noch keinerlei Ordnung
erkennen: Manchmal sind die Buchstaben ganz mit dem uniformen Strich der Schrift¬
konstruktion eingemeißelt, ein andermal wird der gleiche Strich desselben Buchstabens
verstärkt oder verfeinert. Öfter, aber keineswegs immer sind die horizontalen Striche
dünner. Erst zur Zeit des Augustus (23 v. Chr.—14 n. Chr.) konstituierte sich der
Rhythmus der geraden dünnen und dicken Striche und die Verteilung des verstärken¬
den Drucks auf die Bogenlinien zu einer festen, allgemein verbindlichen Ordnung. Zu
dieser Zeit beginnt die Schriftkonstruktion somit hinter einem Zusammenspiel lebens¬
voll gezeichneter, differenzierter Striche und Serifen zu verblassen, aber auf deren
Verwendung wird nicht immer - und vor allem nicht in den Anfängen - mit allem
Nachdruck bestanden. Davon zeugt u. a. Hübners erstes Alphabet (Abb. 41), das ihm
zufolge die ältere Form der monumentalen Lateinschrift augustäischer Zeit kenn¬
zeichnet. Diese Schrift kann uns jedoch nur als Beispiel eines anderen Typus der Über¬
gangsform der römischen Monumentalschrift dienen, weil hier neben dem Erwähnten
auch der Kontrast des Strichstärkewechsels nur ganz schwach angedeutet ist.
Im augustäischen Zeitalter entstehen anderseits noch vor dem Beginn unserer Zeit¬
rechnung Inschriften, in denen die scriptura monumentalis formal bereits vollendet
und stilmäßig ausgereift ist. Ausgeglichen im Kontrast der feinen und starken Striche
in der Form und Lage der Serifen, zeichnet sie sich vor allem — und das ist besonders
wichtig - durch das Gleichgewicht der Proportionen aus, die das Schriftbild der ein¬
zelnen Zeichen des Alphabets bestimmen. Hier handelt es sich um eine bereits wirklich
klassische römische Inschriftenschrift, die wir nunmehr auch in verschiedenen prak¬
tischen Handbüchern des Schrifthandwerks vorfinden, allerdings meist ohne Erwäh¬
nung ihrer inhaltsreichen Vorentwicklung und gewöhnlich irrtümlich als Römische
Kapitale oder einfach Kapitale bezeichnet. Diese Benennung stammt jedoch erst aus
dem Spätmittelalter und ist darauf zurückzuführen, daß Majuskelschriften etwa dieses
Typus für die Überschriften der Buchkapitel verwendet wurden. Sie sollte demnach
eigentlich nur für die Buchmodifikationen der Monumentalschrift Geltung haben, was
übrigens bei der Mehrzahl der Fachliteratur der Welt zutrifft.
Einer weiteren graphischen Qualität dieser höchsten Form der römischen Monu¬
mentalschrift, der wir hier eben zum ersten Mal begegnet sind, nämlich der sich ent¬
faltenden Proportionsordnung des Schriftbildes zum Flächenquadrat, entsprang nach
der Ansicht einiger Autoren die Sonderbezeichnung litterae quadratae. Eine ältere, allge¬
meinere Bezeichnung ist litterae lapidariae. Natürlich sind nicht alle Buchstaben dieses
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ABCDE
FGHILM
NO POR
STV
41. Römische Monumentalschrift, Übergangsform aus der feit des Augustus.