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38. Römische Monumentalschrift, Übergangsform mit entwickelten Serifen, 1. Jahrhundert v. Chr.
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macht sich das Bestreben, die Serifen im verstärkten Strich zu verbergen, nicht mit
der gleichen Konsequenz geltend. Und in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr.
entstehen bereits Inschriften, bei denen die Serifen nicht nur nicht mehr verborgen,
sondern im Gegenteil graphisch außerordentlich effektvoll verwendet werden. Im Al¬
phabet dieser weiteren Entwicklungsform, der in unserer Klassifizierung vielleicht am
besten die Bezeichnung Übergangsform mit entwickelten Serifen entspräche, macht sich
dieser Abschluß frei auslaufender Striche demnach viel ausgeprägter bemerkbar, wenn
auch offenbar nur schrittweise. Im 2. Jahrhundert v. Chr. sind die Serifen noch durch
einen sehr allmählichen Anlauf abgestumpft (Tafel IXb, Abb. 37), der jedoch nicht
mehr auf eine so lange Strecke verteilt wird wie bei der vorgenannten Form. Die so
entstehenden Serifen in Gestalt stumpfer Dreiecke beschränken sich aber auch hier
nur auf die frei ragenden Balken, so daß die Schäfte der Buchstaben B, D und E
überhaupt ohne Serifen und die Schäfte der Buchstaben F, P und R ohne Kopfserifen
bleiben. Auch bei den Schrägbalken der Buchstaben А, K, M, R, V und X ist die
Lage der Serifen noch senkrecht zur Strichrichtung. Eine ziemlich häufige Ausnahme
von dieser Regel zeigt nur der erste Balken der Buchstaben A und M, der manchmal
auch horizontal abgeschlossen wird. Bezeichnend auch für diese Übergangsform mit
bereits entwickelten Serifen bleibt allerdings, daß die nicht mit Serifen versehenen
Striche und die Kreislinien der Buchstaben О und Q,die gleichmäßige Strichstärke
der reinen Grundform beibehalten. Daran ändert sich auch dann gar nichts, wenn
Form und Lage der Serifen je später desto öfter bedeutsame Veränderungen auf¬
weisen. Obwohl wir solchen Veränderungen schon in einigen Inschriften aus der End¬
zeit des 2. Jahrhunderts v. Chr. begegnen, wird es offenbar erst im folgenden Jahr¬
hundert zur Regel, die Serifen schräger Balken nach den Horizontalen des Majuskel¬
systems auszurichten. Mit dieser scheinbar geringfügigen Verbesserung konnte das rö¬
mische Schriftschaffen in graphischer Hinsicht einen außerordentlichen Gewinn ver¬
zeichnen, denn durch die so hervorgehobenen Horizontalen der Textzeilen verviel¬
facht sich die monumentalisierende Wirkung der ganzen Inschrift und die bislang
vorherrschende Vertikaltendenz der Schäfte kommt in der ruhevollen Entsprechung
der beiden Grundachsen der graphischen Komposition zum Ausgleich. Die Funktion
der Serifen bleibt jedoch nicht ausschließlich auf diesen ästhetischen Aspekt beschränkt.
Bis zu einem gewissen Grade verbessern sie auch die Unterscheidung der einzelnen
Zeichen das Lateinalphabets und damit die Lesbarkeit der ganzen Inschriften. Im
übrigen stellen wir im Alphabet dieser Übergangsform mit entwickelten Serifen im
i. Jahrhundert v. Chr. (Abb. 38) immer noch die unveränderte Grundform des runden
О und Q fest, wie sie auch die anderen Buchstaben aufweisen, wenn wir uns die
Serifen wegdenken. Denn alle Züge der Schriftzeichnung haben die gleiche Strich¬
stärke, die in der Regel noch sehr allmählich in die Serifen übergeht. Doch wir können
auch schärferen Übergängen begegnen, obwohl es scheint, daß das selten auf eine
zielbewußte Absicht zurückzuführen ist. Dadurch, daß nicht nur die frei ragenden
Züge, sondern auch die Schäfte der Buchstaben B, D, E usw. konsequent mit Serifen
versehen wurden, waren noch nicht alle Möglichkeiten einer derartigen Bereicherung
der Schriftzeichnung erschöpft, und es nimmt nicht wunder, daß manchmal auch die
Scheitel der Buchstaben А, M und N Kopfserife erhielten. Das führte später zur
Stabilisierung zweier paralleler Formen der römischen Monumentalschrift, einer mit
stumpfen und der anderen mit spitzen Scheiteln.
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