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35- Römische Monumentalschrift, konkave Übergangsform, um 250-150 v. Chr.
SCRIPTURA MONUMENTAL IS
nahmen, und so kam, zunächst offenbar gänzlich unbeabsichtigt, die Serife zustande,
ein scheinbar untergeordnetes, nichtsdestoweniger aber überaus bedeutsames graphi¬
sches Element, dessen außerordentlich wichtige Rolle bei der Unterscheidung und
Einteilung der Schriftformen in der weiteren Entwicklung, vor allem jener der neu¬
zeitlichen Druckschriften, hervorzuheben wir noch sehr oft Gelegenheit haben werden.
Obwohl die Griechen schon lange zuvor, zumindest seit dem 4. Jahrhundert v. Chr.,
diese formale Bereicherung der Schriftzeichnung in einigen Inschriften in Stein her¬
vorragend zur Geltung gebracht hatten, schien den alten Römern der Abschluß frei
auslaufender Striche durch einen kurzen Querstrich zunächst ein unwillkommenes
Übel zu sein, weshalb sie den vermeintlich störenden Effekt der Serife offenbar zu
entschärfen versuchten, indem sie für einen allmählichen Übergang sorgten. Bei den
eben erwähnten Inschriften von Praeneste sind diese Anläufe in der Regel auf einen
beträchtlichen Teil des Schaftes oder entsprechenden anderen Strichs verteilt, so daß
man den Eindruck einer in der Richtung zum Serif zunehmenden Verstärkung hat.
Die Serife verbirgt sich sodann zur Gänze im konkav verdickten Strich. Wir können
diese Monumentalform der Lateinschrift, die auch in jüngeren Inschriften keineswegs
selten vorkommt, für unsere Klassifizierung als konkave Übergangsform (Abb. 35) be¬
zeichnen, weil sie bereits als erste Stufe auf dem Weg von der Grundform zu den
höchstentwickelten Formen gelten muß. In älterer Zeit können wir in diesem Fall
allerdings nur von einer noch unstabilen frühen Grundform sprechen, in der auch die
archaischen Varianten einzelner Buchstaben auf diese Weise gestaltet sind. Doch nicht
alle Buchstaben des Alphabets wurden solchermaßen konsequent durchgebildet. Die¬
jenigen, deren Zeichnung ein geschlossenes Ganzes ohne frei auslaufende Striche bildet
wie etwa das B, D und O, blieben in ihrer Grundkonstruktion unverändert und wurden
mit gleichmäßigen und unverstärkten Linien gezogen. Beim Buchstaben E sodann
sind nur die frei hervorragenden Querbalken an ihrem Ende verstärkt, während der
Schaft vorläufig oben und unten keine Serifen erhält, die hier vom technischen Ge¬
sichtspunkt aus natürlich nicht notwendig waren. Anders verhielt es sich allerdings
mit dem unten frei auslaufenden Schaft der Buchstaben F, P und R. Auch die offene
Rundung des P wurde in der Regel mit der gleichen Verstärkung abgeschlossen. Be¬
zeichnend für die ältere Periode ist auch der Umstand, daß die Abschlußkante der
Schrägschäfte der Buchstaben A, M, N, V, X und der schrägen Schenkel des K, L,
R gewöhnlich im rechten Winkel zur Strichrichtung und nicht horizontal zu liegen
kam, wie das später der Fall war. Ähnlich verhielt es sich mit den seichten Krüm¬
mungen der Buchstaben C, G und S, die mit einem senkrecht zur Bogenmitte weisen¬
den Querstrich und nicht mit einer Vertikalen abgeschlossen wurden. Die so defi¬
nierte konkave Übergangsform kann im römischen Schriftschaffen mit einer ganzen
Reihe von Inschriften belegt werden, von denen ich hier ein Beispiel auswähle: den
Meilenstein des P. Poppilius Laenus aus dem Jahre 132 v. Chr. (Tafel VHIb). Er
wurde in der Nähe des alten Hadria im Po-Fluß gefunden und kann als Beispiel des
beachtlichen Schriftschaffens im 2. Jahrhundert v. Chr. gelten, als die Grundform der
Lateinschrift im Grunde bereits stabilisiert war. Einen Hinweis verdient hier das
scharfe Ende der offenen Rundung des Buchstabens P, eine zu diesem Zeitpunkt
neben der weiterhin angewandten verborgenen Serife dieses Strichs anscheinend nur
fakultative Form. Als Beispiel einer Schrift dieser Untergruppe aus dem 1. Jahrhun¬
dert v. Chr. sei sodann der ausgedehnte Text der Inschrift des Herculaneus Pagus
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