RÖMISCHE INSCHRIFTENSCHRIFTEN
des Buchstabens A entsteht dadurch, daß der etwa in der Mitte des linken oder rechten
Schaftes angesetzte Querstrich parallel mit dem zweiten Schaft halbwegs in den Raum
zwischen den Füßen der beiden Schäfte hineinreicht. Ein andermal wiederum wird
der Querstrich durch eine Vertikale ersetzt, die vom Scheitel des von den Schäften
eingeschlossenen Winkels herabhängt, oder einfach durch einen kurzen senkrechten
Strich zwischen den beiden Schäften. Alle diese archaischen Formen des Buchstabens
A verschwinden aus den Inschriften um 184-174 v. Chr., seit unsere heutige Kon¬
struktion mit horizontalem Querstrich überwiegt. Unter dem Einfluß der Kursivschrift
kommt manchmal in den Inschriften die Form des Buchstabens A auch ohne Quer¬
strich und mit oben verlängertem rechtem Schaft vor.
Eine geringere Anzahl Formen finden wir beim Buchstaben B. In einigen frühen
Inschriften sind beide Rundungen des Buchstabens - ähnlich wie beim archaischen
griechischen beta - scharf, aus zwei übereinander liegenden Dreiecken zusammenge¬
setzt, während der Hauptbalken die gemeinsame Basis bildet. Diese Form blieb aus
technischen Gründen auch in der Kaiserzeit erhalten, wo es sich um eine in Bronze¬
oder Bleitäfelchen eingehämmerte Schrift handelt. Als Übergang kann eine Form
gelten, bei der sich die Seiten der Dreiecke nach außen wölben. Der Typ mit den
runden Bäuchen ist jedoch in allen Epochen geläufig, nur das Größenverhältnis der
beiden Rundungen variiert. Meist ist der untere Bauch größer, aber das Gegenteil
ist keine Ausnahme. Manchmal, in gemalten Inschriften, fällt der obere Bauch unter
dem Einfluß der Kursivschrift völlig fort.
In archaischen Inschriften kommt der Buchstabe С in drei Formen vor. Deren
erste ist eine eckige Zeichnung zweier gerader Striche, die in einem mehr oder weniger
scharfen Winkel in Gestalt der sogenannten eckigen Klammer miteinander verbunden
sind. In einer weiteren, aus drei Strichen zusammengesetzten Form ist der Winkel
senkrecht abgeschnitten. Aber auch in den ältesten Inschriften kann das С die Form
eines schmalen Bogens haben. Die schmalen Maßverhältnisse der runden Form des
Buchstabens С sind typisch für die frühen Inschriften. Erst am Ende der römischen
Republik erhält der Buchstabe С seine Kreisform und später manchmal auch eine
größere Höhe als die ihm benachbarten Buchstaben der Inschriftzeile. Aus raumspa¬
renden und graphischen Gründen kann der Bogen des С auch den folgenden Buch¬
staben, meist ein O, umfassen.
Ähnlichen archaischen Formen begegnen wir beim Buchstaben D. Das ursprüng¬
liche gleichseitige Dreieck des griechischen Buchstabens delta ist um go Grad gewendet,
so daß seine Basis zum Schaft des lateinischen Zeichens wird. Diese Form hat der
Buchstabe D in den ältesten Inschriften, beispielweise auf der Spange von Praeneste.
Ähnlich wie beim С ist auch der Scheitel des Dreiecks beim D in einer weiteren Form
senkrecht abgeschnitten oder gerundet. Eine dritte Form dieses Buchstabens zeigt die
Rundung am Scheitel des Schaftes hängend, aber unten nicht an den Schaft ange¬
schlossen. Analog bleibt der Bauch einer anderen Form oben offen. Diesen beiden
Formen begegnen wir in den Metallinschriften und auch später, nachdem sich die
endgültige Form der geschlossenen Rundung eingelebt hat. Aber auch für das D sind
die schmalen Proportionen in den frühen Inschriften typisch. Erst am Ausgang der
Republik wird der Buchstabe breiter.
Die archaische Form des griechischen epsilon mit nach rechts geneigtem, unten ver¬
längertem Schaft und drei kurzen, manchmal in ziemlich scharfem Winkel angesetzten
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ARCHAISCHE LATEINSCHRIFT
Querstrichen ist von der Lateinschrift übernommen worden. Doch der Schaft kann
auch umgekehrt geneigt und nach oben verlängert sein, wobei die Querstriche manch¬
mal nach oben weisen. Häufiger jedoch ist der Schaft des E vertikal, aber immer
unten und manchmal auch oben verlängert. Die nach unten geneigten Querstriche
kommen noch lange in den Inschriften aus republikanischer Zeit vor, obwohl allmäh¬
lich die horizontale Anordnung überwiegt. Dabei wird der mittlere Querstrich ge¬
wöhnlich verkürzt, aber in den besten Beispielen aus der Blütezeit sind alle Querstriche
gleich oder ungefähr gleich lang. In weniger bedeutsamen Inschriften aus republika¬
nischer Zeit tritt hier und dort noch die kursive Form des E in Gestalt zweier senk¬
rechter nebeneinanderliegender Striche auf.
Die gleichen Metamorphosen durchlief auch der formal verwandte Buchstabe F.
Neben den archaischen Formen mit geneigtem oder senkrechtem Schaft und zwei
nach unten oder oben gewandten Querstrichen trat sehr früh eine Form mit horizon¬
talen Querbalken in Erscheinung. Der untere ist gewöhnlich kürzer, aber in der Blüte¬
zeit sind beide gleich lang. Der Buchstabe F kommt - wie das E - später auch in
Inschriften als Kursivform vor, deren Schaft eine kurze Parallele begleitet.
Der Buchstabe G tritt, wie bereits erwähnt, erst im 3. Jahrhundert v. Chr. als ge¬
ringfügige Abänderung des С auf. Auf einer Münze aus Aesernium sehen wir die bis¬
lang noch eckige Form des С mit einem hinzugefügten kurzen Strich, der parallel mit
dem oberen Winkelarm des Schriftzeichens verläuft. Bei den runden Formen ist dieser
Strich senkrecht und zielt entweder in die Mitte des Bogens oder unter die Fußlinie.
Erst am Anfang der Kaiserzeit zeigt diese Senkrechte eine Tendenz zur Biegung nach
links. Der unter die Fußlinie weisende Halbbalken kennzeichnet die kursiven und
späten Unzialformen.
Die älteste Form des Buchstabens H ist das halbierte Rechteck des griechischen
archaischen eta, wie wir es sowohl auf der Fibel von Praeneste als auch auf dem Cippus
vom Forum Romanum finden. In der weiteren Entwicklung verändert sich der Buch¬
stabe H nur ganz wenig. Die oberen und unteren Seiten des Rechtecks der ältesten
Formen fallen fort, so daß von der ursprünglichen Gestalt nur zwei senkrechte, in
der Mitte durch einen Querstrich verbundene Schäfte übrigbleiben. Die Lage dieses
Querstrichs ist das einzige, was die wenigen Varianten des Buchstabens H voneinander
unterscheidet. Manchmal verbindet er den unteren Teil des linken Schaftes schräg
mit dem oberen Teil des rechten Schaftes. In horizontaler Lage ragt der Querstrich
zuweilen über die senkrechten Schäfte hinaus, aber meist endet er dort, wo er sie
berührt. In dieser Form stabilisiert sich der Buchstabe, und seine verschiedenen Va¬
rianten unterscheiden sich voneinander nur durch die Gesamtbreite des Schriftbildes.
In der späten Entwicklung wird der obere Teil des rechten Schaftes manchmal nicht
ganz ausgeführt, was den Buchstaben seiner Minuskelform annähert.
Der Buchstabe I hat sich selbstverständlich praktisch kaum verändert. Nur in der
Endphase der römischen Republik, beginnend mit der Zeit Sullas in der ersten Hälfte
des i. Jahrhunderts v. Chr., wird das I manchmal über die anderen Buchstaben der
Inschriftzeile hinausgezogen.
Der Buchstabe К wurde nur selten verwendet und hat daher keine einschneiden¬
deren Wandlungen der Schriftzeichnung aufzuweisen. Die archaische Form mit senk¬
rechtem Schaft und kurzen Schenkeln, die von der Schaftmitte im Winkel ausein¬
anderstreben, hielt sich bis in die frühe Kaiserzeit. Bis zum 3. Jahrhundert v. Chr.
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