KURSIVSCHRIFTEN DES GOTISCHEN TYPUS
sprechend stärker hervorgehoben. Natürlich haben seit Beginn unseres Jahrhunderts
alle hervorragenden deutschen Schriftkünstler, ob es nun Koch, Ehmke, Weiß oder
andere waren, ihre eigenen Frakturen gezeichnet, aber darunter findet sich kaum
etwas, womit sie die historischen Formen dieser bereits längst überlebten Schrift
übertroffen hätten.
Nach Böhmen gelangte die Fraktur schon im Jahre 1542, wo sie der Prager Drucker
Bartolomëj Netolickÿ erwarb, und seither wurde sie neben der Schwabacher immer
mehr zur Hauptschrift für den Druck von Büchern in tschechischer Sprache. Alle
bedeutenden Drucker besaßen sie in ihrem Schriftmaterial in den verschiedenen Nürn¬
berger Versionen als Brotschrift und in den Augsburger als Titelschrift. So verfügte
beispielsweise Jiri Melantrych über die Gebetbuchschrift und die Theuerdankschrift.
Dieselben Schriften finden sich mit der Neudörffer-Andreae-Fraktur von 1524 auch
in den Drucken der Melantrych-Nachfolger Daniel Adam und Samuel Adam von
Veleslavin. Mit einer Fraktur druckte auch die Offizin der Böhmischen Brüder in
Kralice, und ihre Titelblätter gehören zu den schönsten Beispielen einer Verwendung
der Fraktur in den zeitgenössischen Holzschnittrahmen. Aus derselben Druckerei sind
auch die besten Beispiele böhmischer kalligraphischer Holzschnittfrakturen hervor¬
gegangen, die prachtvollen Titelblätter der sechsteiligen Bibel von Kralice aus den
Jahren 1579-1594- Im 17. und 18. Jahrhundert schreitet die Entwicklung in Böhmen
in gleicher Richtung fort, die Fraktur wird mit der Schwabacher zu den merkwür¬
digsten Mischungen vereinigt, was jedoch nicht immer eines gewissen Reizes entbehrt.
Die Schwabacher bleibt auch im 18. Jahrhundert die Textschrift des tschechischen
Buchdrucks, und die Fraktur wird manchmal seltsamerweise als Auszeichnungsschrift
verwendet. Diese Situation dauert im böhmischen Buchdruck bis zum Anfang des
19. Jahrhunderts an, in dem Frantisek Jan Tomsa nach den vergeblichen Bemühungen
von vier Jahrhunderten endlich der Nachweis gelang, daß man zum Satz in tschechi¬
scher Sprache nicht unbedingt Schriften des gotischen Typus benötige.
Das Problem, wie man die unterstrichenen Textstellen auf geeignete Weise im
Fraktursatz hervorheben solle, beschäftigte auch die deutschen Drucker, die sich sehr
früh um verschiedene Lösungen bemühten. Sofern es sich um Zitate oder Worte in
lateinischer Sprache handelte, war die Lösung am einfachsten, denn es genügte, diese
in Antiqua zu setzen. Waren es deutsche Texte, behalfen sie sich entweder mit der
Schwabacher oder mit dem gesperrten Satz. Die Anwendung einer beim Lateinsatz
geläufigen Methode, nämlich der Auszeichnung mit Hilfe der Italika im Antiquasatz,
versuchte vielleicht nur Jochim Leu, ein Hamburger Drucker, um die Mitte des 16.
Jahrhunderts, der sich zu diesem Zweck eine Frakturvariante mit geneigter Schatten¬
achse beschaffte. Seine Fraktur-Cursive, wie sie Jochim Leu in seinem Druck Bekannt-
nis und Erklerung aufs Interim aus dem Jahre 1548 verwendet, erfüllt zwar ihre
Aufgabe als Auszeichnungsschrift durchaus zufriedenstellend, aber sie weist an sich
zahlreiche Mängel auf. Schon die Neigung der Schattenachse ist für die Fraktur¬
zeichnung keineswegs günstig, und diese zeigt hier überdies zuviele Spitzen und Grate.
Der Mißerfolg dieses Schnitts ist vielleicht der Grund, warum die Fraktur-‘Kursiv’
Leus ein vereinzeltes Beispiel der Schrift ihrer Gattung blieb.
Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts entdeckte man an der Fraktur übrigens auch
andere Mängel, nicht nur das Fehlen einer geneigten ‘kursiven’ Variante zu Aus¬
zeichnungszwecken im Text. Man verglich sie mit der viel geeigneteren Antiqua und
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