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282. Böhmische dornspitzige Bastarda, 15.-16. Jahrhundert.
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BÖHMISCHE BASTARDA
des 15. Jahrhunderts (Tafel CV), die tschechische Bibel von Tábor aus der Mitte des
15. Jahrhunderts (Tafel CVI), die Belialhandschrift von 1450, die Handschrift mit
der Offenbarung der hl. Brigitte von Thomas von Stítné in der Prager Universitäts¬
bibliothek, ein 1453 entstandener Band, und eine ganze Reihe weiterer Buchhand¬
schriften des 15. Jahrhunderts.
Eine zweite Hauptform der böhmischen Bastarda war die Schrift jener Bücher des
15. und 16. Jahrhunderts, für deren Ausführung man mehr Zeit und Sorgfalt auf¬
wenden konnte. Es waren dies in der Regel mit einem mehr oder minder reichen
ornamentalen oder figuralen malerischen Schmuck versehene illuminierte Hand¬
schriften, und es ist somit ganz natürlich, wenn in derartigen Fällen auch der Schrift
besondere Aufmerksamkeit zugewandt wurde. Das Resultat war eine Schrift, die es
notgedrungen zu den formalen Buchschriften näher hatte als zur gleichzeitigen ge¬
läufigen Kursiv. Das kam vor allem in der Brechung der Rundzüge und der Zu¬
spitzung der Schäfte zum Ausdruck, mithin in der gesamten texturartigen Eckigkeit
des Duktus. Der Textur stand die so geartete böhmische gebrochene Bastarda des 15. und
16. Jahrhunderts natürlich immer dann am nächsten, wenn sie eine besonders fette
und dunkle Zeichnung hatte; aber seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts war
anscheinend in den böhmischen Buchhandschriften eine schlankere gebrochene und
damit lichtere Bastarda häufiger vertreten. In ihrem Alphabet (Abb. 281) stellt die
Zeichnung des Buchstabens 0, der oben und unten scharf gebrochen wird, ein beson¬
ders charakteristisches Merkmal dar. Ähnlich behandelt wird auch das e, während die
Buchstaben c, d, g, q und das Schluß-i unten zugespitzt sind. Außerdem ist der Kopf
des a gegen die Schaftspitze hin durchgebogen, ebenso wie die Schlußschäfte des m
und n. Auch die dreieckigen Schleifen der Schäfte des b, h, k, l sind nunmehr kantig,
und das d wird größtenteils ohne Schleife geschrieben. Jm Kontrast zu dieser kantigen
Gestaltung der eigentlichen Schriftzeichnung der Minuskeln steht die durch Schat¬
tierung hervorgehobene Rundheit der Elefantenrüssel beim h, m, n, w, x, у, г, und
noch mehr bei fast allen Majuskeln, die in manchen Fällen, vor allem beim A, durch
die zerflatterte Zeichnung verschiedener Varianten auffallen. Die zeichnerische Wir¬
kung dieser Majuskeln in der Textseite ist sicherlich ein vorteilhaftes Gegengewicht
der Uniformität des bereits stark vertikalisierten kleinen Alphabets.
Die gebrochene böhmische Bastarda nahm sehr früh den Charakter einer formalen
kalligraphischen Schrift an und war als solche geeignet, in der tschechischen religiösen
Literatur die Textur zu ersetzen. Schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts, um 1420,
wurde beispielsweise die reich geschmückte tschechische Bibel von Boskovice in der
Olmützer Universitätsbibliothek mit einer solchen Schrift geschrieben. Ihre malerische
Komponente macht sie sicherlich zu einem der interessantesten Beispiele des tsche¬
chischen Buchschaffens dieser Zeit, aber wir bringen hier nicht nur dieses malerischen
Aspekts, sondern auch der ausgezeichneten Schreibkunst dieser Handschrift wegen ein
Detail aus einer Kodexseite (Tafel CVII). Es ist in der Tat merkwürdig, daß inmitten
der Hussitenkriege eine so prächtig ausgestattete Handschrift entstehen konnte, und
dies ist kein Einzelfall. Ein weiteres Beispiel der schönen Schreibkunst und Buchma¬
lerei dieser stürmischen Zeit der böhmischen Geschichte stellt die Handschrift eines
tschechischen Evangeliars in Olmütz aus dem Jahre 1421 dar (Tafel CVIII) ; sie ist
mit einer Bastarda desselben Typus geschrieben, einer verhältnismäßig schmalen und
scharf gebrochenen Schrift. In unserem Beispiel verdienen besondere Aufmerksamkeit
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