KURSIVSCHRIFTEN DES GOTISCHEN TYPUS
der Diplome Karls, nur mit dem Unterschied, daß der Duktus hier runder und we¬
niger kontrastreich ist. Die Elefantenrüssel der Majuskeln А, B, J, M, N, P, T, V, W,
Z werden jedoch noch mehr verlängert und rundgebogen, ebenso wie dieselben Züge
im kleinen Alphabet bei den Buchstaben h, m, n, x,y, z und bei den Abkürzungen con
und us. Eine Kursiv von gleichem Typus wurde zu einer auch in den böhmischen
Stadt- und Notarkanzleien und in der privaten Korrespondenz geläufig verwendeten
Schrift (Tafel CII, CIII), um auch im 15. Jahrhundert in Gebrauch zu bleiben. Ein
schönes Beispiel vom Anfang dieses Jahrhunderts stellt beispielsweise der angebliche
Autograph des Johannes Hus dar, ein etwa aus dem Jahre 1409 (Abb. 278) stam¬
mendes Schriftstück, das zwar mit einer bereits ziemlich breit zugeschnittenen Feder
geschrieben ist und daher einen kräftigeren Strichstärkewechsel aufweist, was alsbald
die schriftlichen Dokumente der hussitischen Epoche kennzeichnen wird, das jedoch
im übrigen weiterhin den erwähnten böhmischen Charakter des kursiven Duktus bei¬
behält. Noch kennzeichnender für diese spezifisch böhmische gotische Kursiv sind
tschechisch geschriebene Urkunden, wie z. B. ein Schreiben des hussitischen Heer¬
führers Jan Zizka aus dem Jahre 1423 (Tafel CI), wo die häufig vorkommenden Buch¬
staben k, w,y, z ebenso wie die Ligaturen cz, eh, rz, ss, zz dem graphischen Bild des
Textes an sich schon eine dekorative Wirkung verleihen.
Obwohl die Textur in Böhmen nicht, wie es anderswo in Europa häufig der Fall
war, zur Gänze lateinischen Texten Vorbehalten blieb und die mit ihr geschriebenen
tschechischen, wie wir feststellen konnten, keinen Ausnahmefall darstellen, machte
sich die Kursiv auch da schon früh als Buchschrift für Werke in der Volkssprache
geltend. Es ist natürlich, daß die spezifisch böhmischen Merkmale der heimischen
Kursiv mehr oder minder deutlich auch in den Buchhandschriften in Erscheinung
traten. Mit der größeren Sorgfalt, die man derartigen Handschriften widmete, büßte
die böhmische Kursiv allerdings auch an Kursivcharakter ein, vor allem dadurch,
daß die einzelnen Buchstaben nach der Art der formalen Buchminuskel getrennt ge¬
schrieben wurden. So wurde die böhmische Kursiv zu einer neuen Schrift der Bastar-
denordnung, der eigenständigen BÖHMISCHEN BASTARDA. Die typisch böhmi¬
schen Merkmale der böhmischen Kursiv blieben auch in dieser ihrer Buchmodifika¬
tion erhalten, und durch eben diese Merkmale unterscheidet sich die böhmische
Bastarda auf ausgeprägte Weise von den übrigen nationalen Schriften dieser Art. Der
besondere Nationalcharakter der böhmischen Bastarda und ihr heimischer Ursprung
werden auch von ausländischen Forschern anerkannt, und die Tatsache, daß sie in
gewisser Hinsicht eine Vorgängerin der spätgotischen Bastarda war, die sich zur deut¬
schen Nationalschrift entwickelte und die vier folgenden Jahrhunderte hindurch in
Gebrauch blieb, wird nunmehr auch von den deutschen Fachleuten allgemein akzeptiert.
Der kennzeichnende Nationalcharakter der böhmischen Bastarda wurde schon vor
geraumer Zeit von der tschechischen und internationalen Paläographie und Paläotypie
festgestellt und auch von diesem Gesichtspunkt aus eingehend studiert. Dessenunge¬
achtet blieben gewisse damit verbundene Fragen weiterhin ungelöst oder nicht völlig
gelöst, vor allem das Problem ihres Ursprungs. Diese Frage wird in der Regel mit
dem Hinweis auf den Einfluß der französischen Bastarda durch Vermittlung der
böhmischen königlichen Kanzlei zur Zeit der luxemburgischen Dynastie beantwortet.
Hier ist jedoch bereits die Vermutung ausgesprochen worden, daß auch in der diplo¬
matischen Schrift dieser Kanzlei dem französischen Einfluß die heimische Schreib-
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2jg. Böhmische gotische Kursiv, 14.-15. Jahrhundert.
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